27.01.2019

Abendzeitung München

Wie wünschen Sie sich das Sterben?


Eine Patientenverfügung kann für Ernstfälle vorsorgen – doch wie muss ich sie formulieren? Wie sind die Fallstricke? Und müssen Ärzte meine Wünsche respektieren? In Folge 1 der neuen AZ-Serie beantworten wir die wichtigsten Fragen
Von Irene Kleber

Manchmal geht es sehr schnell. Ein Mensch stürzt unglücklich auf der Treppe, gerät in einen Autounfall oder erleidet einen Schlaganfall – und wird im Wachkoma künstlich an Leben erhalten, ohne dazu noch seinen Willen äußern zu können. Oder eine Demenz kommt so schleichend, dass man den Moment verpasst hat, die Frage zu klären, wie man medizinisch behandelt werden will. Und wer eigentlich künftig über das eigene Leben und alle Belange entscheiden soll. Eine Patientenverfügung kann für diese Ernstfälle vorsorgen. Aber was ist das eigentlich genau? Und wie fasst man so ein Dokument ab, damit es im Fall der Fälle rechtsgültig ist? Die Informationen dazu sind vielfältig – und für viele Menschen verwirrend. Der Münchner Rechtsanwalt Wolfgang Putz, Lehrbeauftragter für Medizinrecht und Medizinethik an der Ludwig-Maximilians-Universität, schätzt, dass nur etwa jeder zweite über 60-Jährige in Bayern eine Patientenverfügung verfasst hat. Und dass zwei Drittel dieser Dokumente – weil fehlerhaft formuliert -untauglich sind. Für die AZ beantwortet er die wichtigsten Fragen.

Was ist eine Patientenverfügung?
Eine Patientenverfügung ist eine Willenserklärung für einen Fall in der Zukunft, in dem Sie plötzlich und unerwartet willensunfähig werden und auch bleiben. Sie wird dann wirksam, wenn Sie Ihre Zustimmung oder Ablehnung zu einer medizinischen Behandlung nicht mehr geben können. Für Ärzte ist eine solche Verfügung verbindlich – wenn sie konkret genug formuliert ist.

Kann meine Familie nicht alles regeln?
Nein. Damit Ihr (Ehe-)Partner oder Ihre Kinder in Ihrem Namen rechtsverbindlich über Ihre medizinische Behandlung entscheiden können, brauchen sie eine Vorsorgevollmacht von Ihnen. Diese können Sie mit Ihrer Patientenverfügung verknüpfen.

Warum konkrete Anweisungen?
Weit gefasste Formulierungen wie „keine lebenserhaltenden Maßnahmen“ sind in einer Patientenverfügung nicht ausreichend. Das hat der Bundesgerichtshof 2016 und 2017 entschieden. Sie sollten im Dokument konkrete Anweisungen geben – etwa zu künstlicher Ernährung und Beatmung, Schmerzbehandlung, Wiederbelebung und Organspende.

Wie formuliere ich konkret?
Es gibt dafür ein gutes Formular: Die Broschüre „Vorsorge für Unfall, Krankheit, Alter“, die das Bayerische Justizministerium herausgibt, bietet ein mehrseitiges Papier mit konkreten Anweisungen an, aus denen Sie wählen können. Außerdem sollten Sie zusätzliche Zeilen zu Ihren Wertvorstellungen notieren. Dafür ist ein extra Blatt vorgesehen.

Warum nicht alles völlig frei schreiben?
Einige Ratgeber empfehlen, eine Patientenverfügung aus möglichen Textbausteinen selbst zusammenzustellen. Sogar die Broschüre des Bundesjustizministeriums tut das. Ich rate davon ab, weil hier die Gefahr besteht, dass durch Kombination und gut gemeinte Ergänzungen Widersprüche entstehen, die bis zur rechtlichen Unwirksamkeit der getroffenen Verfügung führen können. Laien können das oft nicht erkennen.

Ist eine notarielle Beglaubigung nötig?
Nein. Die Patientenverfügung wird mit der eigenhändigen Unterschrift wirksam. Es empfiehlt sich, das Dokument jedes Jähr neu mit neuem Datum zu unterschreiben.

Wo hinterlege ich das Dokument?
Zum Beispiel zuhause in einem „Notfall“ -Ordner, der lesbar beschriftet ist – etwa zusammen mit einem Testament und anderen Vollmachten. Weisen Se Angehörige darauf hin, wo die Dokumente zu finden sind. Fertigen Se Kopien an, die Sie Ihren Angehörigen, Bevollmächtigen oder auch (nach Rücksprache) dem Hausarzt aushändigen.

Wann greift die Verfügung nicht?
Die Patientenverfügung greift dann noch nicht, wenn der Arzt noch keine sichere Prognose stellen kann. Etwa nach einem schweren Schlaganfall oder einer Wiederbelebung (jeweils mit folgender Bewusstlosigkeit). In der frühen Phase einer Gehirnschädigung ist in der Regel noch nicht abzusehen, ob der Patient seine Willensfähigkeit und Selbstbestimmung wiedererlangen kann. Der Arzt wird ihn deshalb zunächst (mit einer Magensonde) am Leben erhalten und Ihn mit der Hoffnung auf eine Besserung behandeln. Tritt die aber nicht ein, muss die künstliche Ernährung wieder beendet werden, wenn das den Vorgaben der Patientenverfügung entspricht. Der Arzt muss den Patienten jetzt so behandeln. dass er weder Hunger, Durst noch Schmerzen fühlt, aber friedlich sterben kann.

Was genau ist eine Vorsorgevollmacht?
Die Vorsorgevollmacht erlaubt der Person Ihres Vertrauens (das können Angehörige oder Freunde sein), in Ihrem Namen zu entscheiden und zu handeln. Diese Parson hat also die Aufgabe, den Ärzten im Ernstfall Ihre Wünsche klar zu machen und darauf zu achten, dass sie auch durchgesetzt werden. Es ist eine privatrechtliche Vereinbarung, die von keiner Institution geprüft oder kontrolliert wird. Es ist wichtig, dass Sie Ihre konkreten Wünsche vorher sehr genau mit dieser Person besprechen.

Darf ein Arzt diese Wünsche ignorieren?
Ein Arzt kann sich über die Einwilligungen oder Verbote des Vorsorgebevollmächtigten nicht einfach hinwegsetzen. Wenn er aber begründete Anhaltpunkte hat, dass der Bevollmächtigte nicht den wahren Willen des Patienten vertritt, muss er das Betreuungsgericht einschalten und nach dessen Entscheidung handeln. Etwa dann, wenn der Bevollmächtigte offensichtlich ein frühes Sterben bezweckt, um schneller erben zu können.

Und was ist eine Betreuungsverfügung?
Die Betreuungsverfügung ist (anders als die Vorsorgevollmacht) ein Dokument, in dem Sie schriftlich festlegen, wen das Betreuungsgericht im Ernstfall als Ihren rechtlichen Betreuer einsetzen soll – der sich etwa um Ihr Vermögen, die Kündigung von (Miet-)Verträgen oder die Frage kümmert, wo Sie im Pflegefall wohnen sollen. Wenn Sie eine solche Person nicht selbst festlegen, wählt ein Betreuungsrichter am Amtsgericht für Sie die Parson aus. Das kann dann ein Angehöriger sein, aber auch ein Berufsbetreuer oder ein fremder, ehrenamtlicher Betreuer, etwa von einem Betreuungsverein.

Wo kann ich mich beraten lassen?
Gute Anlaufstellen, die über diese Dokumente informieren, sind die Patientenstelle im „Gesundheitsladen“ in München, Beratungsstellen in Kirchen, Wohlfahrtsverbände, Hospizen – oder auch ein Mediziner. Ihr Arzt kann Ihnen erklären, welche medizinischen Folgen bestimmte Wünsche und Entscheidungen im Ernstfall für Sie haben werden.

Arzt muss Schmerzensgeld zahlen

Wie lange darf ein Mediziner einen unheilbar Kranken, der keine Patientenverfügung hat, und der sich auch nicht mehr äußern kann, am Leben erhalten? Ein aufsehenerregendes Urteil ist dazu 2017 gefallen. Das Oberlandesgericht verurteilte einen Hausarzt zur Zahlung von 40 000 Euro Schmerzensgeld, weil er einen 82-jährigen Mann im Endstadium der Demenz über Jahre künstlich am Leben erhalten hatte. Der schwer kranke Senior, denn in einem Münchner Pflegeheim lag, litt seit 1996 unter Demenz, eine Patientenverfügung hatte er nicht. Ein Betreuungsrichter hatte für ihn einen rechtlichen Betreuer bestimmt. 2006 wurde dem Senior, der nicht mehr sprechen und nicht mehr selbst essen und trinken konnte, eine Magensonde zur künstlichen Ernährung gelegt. Er konnte zuletzt keinen Kontakt mehr zu seiner Umwelt aufnehmen, litt unter Inkontinenz, Atemnot und Druckgeschwüren. Die Schwestern fixierten ihn manchmal ans Bett. Spätestens ein Jahr vor seinem Tod 2011 sei die künstliche Ernährung nicht mehr fachärztlich angemessen gewesen, sie habe das Leiden seines Vaters nur verlängert, argumentierte sein Sohn Heinrich Sening (58), der als Altenpfleger in den USA lebt. Das Gericht kam zu dem Schluss, dass der Arzt seine Pflicht verletzt hat. Er hätte die Fortsetzung der künstlichen Ernährung (oder deren Beendigung mit der Folge dass der Mann verstirbt), gründlich mit dem Betreuer erörtern müssen.

Nina Job


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