„Der Mensch lebt nicht vom Brot allein“ (Matthäus 4,4) – auf diesem biblischen Hinweis, dass wir nicht von Nahrung allein lebten, bezog sich Frank Kittelberger, Studienleiter für Ethik in Medizin und Gesundheitswesen, Pastoralpsychologie und Spiritual Care der Evangelischen Akademie Tutzing, bei der Eröffnung des Medizin-Theologie-Symposiums „Hungern bis der Tod kommt?“, das vom 27. bis 29. Oktober 2017 in der Evangelischen Akademie am Starnberger See stattfand. Das könnte im Umkehrschluss heißen, so Kittelberger, „dass wir auch nicht allein am Mangel von Nahrung sterben“. Um die Implikationen einer solchen Schlussfolgerung drehten sich letztlich die Diskussionen und Positionen in der Debatte um das Sterbefasten bzw. den freiwilligen Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit (FVNF). Besonders lebhaft sei diese Diskussion, weil sie medizinisch-pflegerische und sozial-psychologische Fragen ebenso berühre, wie juristische, sozialpolitische und moralische Positionen.
Perspektivenwechsel
Dr. Max Kaplan, Präsident der Bayerischen Landesärztekammer (BLÄK), spannte in seinem Impulsreferat „Ärztliche Sterbebegleitung – Rolle, Aufgaben und ethische Grenzen für den Arzt“ den Bogen von den Vorgaben der Berufsordnung bis hin zu exemplarischen Kasuistiken aus der Patientenversorgung. Kaplan stellte fest, dass das Thema Sterben und Tod mittlerweile in der Gesellschaft angekommen sei. Auch der Gesetzgeber habe reagiert, mit dem dritten Betreuungsrechtsänderungsgesetz 2009 (Patientenverfügung), dem Hospiz- und Palliativgesetz 2015 und dem Gesetz zur geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung § 217 Strafgesetzbuch (StGB). Ganz aktuell hat das Bundesverwaltungsgericht mit seinem Urteil vom März 2017 erneut zur Diskussion beigetragen. Eine Studie zeige, dass beim Sterben „Wirklichkeit und Wunsch auseinander klaffen“, denn die Mehrheit der Menschen in Deutschland (60 Prozent) wollten zu Hause sterben und nicht im Krankenhaus oder im Pflegeheim. Tatsache sei jedoch, dass 46 Prozent im Krankenhaus und 21 Prozent im Pflegeheim sterben. „Bei vielen Menschen geht der Wunsch nach dem Wo und Wie des Sterbens nicht in Erfüllung“, so Kaplan. Der Präsident erläuterte die Verantwortung des Arztes, der sich hierbei an Regeln und Grundsätze zu halten und dabei auf die Patientenautonomie zu achten habe. „Wie weit geht diese Autonomie und befindet sich nicht auch die Gesellschaft in einem Spannungsfeld zwischen Fürsorge und Patientenautonomie“, fragte Kaplan. Der Präsident verwies auf den „Hippokratischen Eid“, welcher als Genfer Gelöbnis, soeben durch die Generalversammlung des Weltärztebundes (World Medical Association – WMA) überarbeitet wurde mit stärkerer Berücksichtigung der Patientenautonomie, auf die Muster-Berufsordnung und die Berufsordnung für die Ärzte Bayerns, auf die Grundsätze zur ärztlichen Sterbebegleitung sowie auf die Charta zur Betreuung schwerstkranker und sterbender Menschen in Deutschland (Leitsätze). „Jeder Mensch hat ein Recht auf ein Sterben unter würdigen Bedingungen“, zitierte der Präsident, woraus sich gesellschaftspolitische Herausforderungen – Ethik, Recht und öffentliche Kommunikation, Bedürfnisse der Sterbenden – Anforderungen an die Versorgungsstrukturen, Anforderungen an die Aus-, Weiter- und Fortbildung von Ärzten und Pflegenden, Entwicklungsperspektiven und Forschung sowie eine europäische und internationale Dimension ergäben. Kaplan machte deutlich, dass nach den im Jahr 2011 überarbeiteten Grundsätzen zur ärztlichen Sterbebegleitung, die ärztliche Verpflichtung zur Lebenserhaltung nicht unter allen Umständen bestehe. Unter dem Aspekt Perspektivenwechsel ging Kaplan auf Situationen ein, in denen sonst angemessene Diagnostik und Therapieverfahren nicht mehr angezeigt seien. Dann trete eine palliativmedizinische Versorgung in den Vordergrund. Es gelte eine Basisbetreuung sicherzustellen, wobei Art und Ausmaß einer Behandlung vom Arzt zu verantworten seien. Unter „Hilfe beim Sterben, nicht Hilfe zum Sterben“ subsumierte Kaplan: Ein offensichtlicher Sterbevorgang sollte nicht durch lebenserhaltende Therapien künstlich in die Länge gezogen werden. Die Tötung des Patienten hingegen sei strafbar, auch wenn sie auf Verlangen des Patienten erfolge. Die Mitwirkung des Arztes bei der Selbsttötung sei keine ärztliche Aufgabe. Besonderes Augenmerk legte der Präsident auf die Patientenverfügung und zeigte auf, was sie beinhalten sollte, beispielsweise für welche Situationen diese Verfügung gelte, welche Therapien der Patient verlange und welche er ablehne und ob ein Organspendeausweis vorliege. Schließlich sprach Kaplan Sterbebegleitung aus hausärztlicher Sicht an. Anhand von konkreten Kasuistiken zeigte Kaplan, der selbst 30 Jahre als Landarzt niedergelassen war, sowohl den „Regelfall“ als auch den „besonderen Fall“, wie den krebskranken Patienten oder das „Sterbefasten“ auf.
Sterbefasten
„Sterbefasten aus rechtlicher Sicht“ titelte der Vortrag von Wolfgang Putz, Rechtsanwalt und Lehrbeauftragter an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Putz machte dem Auditorium die Bedeutung des neuen § 217 StGB deutlich: Geschäftsmäßige Förderung liege vor, sobald ein Arzt Beistand oder Beratung gewähre oder dies nur verspreche. Sterbefasten sei Suizid – der ärztliche Beistand dazu unterliege § 217. Er gliederte die „Beteiligung am Suizid“ in drei Phasen aus strafrechtlicher Sicht: „1. Beihilfe zur Vorbereitung der Selbsttötung. 2. Nicht hindern (Selbsttötung sei die Tötung des Suizidenten durch den Suizidenten) und 3. Nicht retten.“ Interessant war die Frage: „Ist das Aufhören zu essen und zu trinken eine ,Selbsttötung‘ im Sinn des § 217 StGB?“. Der Münchner Rechtsanwalt ging zuerst auf das natürliche Nachlassen von Hunger, Durst und Aufnahme von Flüssigkeit und Nahrung infolge der Erkrankung (schon begrifflich kein „Fasten“) ein und sagte wörtlich: „Das ist keine Selbsttötung im Sinne des § 217 StGB.“ Gezieltes Handeln gegen das Leben, um unabhängig von der Erkrankung früher und ohne Erleben der Spätsymptome der Erkrankung zu sterben (FVNF/“Sterbefasten“) sei dagegen eine Selbsttötung im Sinne des § 217 StGB. Es gebe viele Fallgestaltungen, aber auch Probleme der Abgrenzung bezüglich des Bestimmtheitsgebots. Eine freiverantwortliche Selbsttötung sei ein Grundrecht, deshalb sei der § 217 StGB letztlich ein Verstoß gegen das Grundgesetz. Die aktuelle Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, nach der ein unheilbar Kranker in extremen Ausnahmefällen Anspruch auf eine Substanz zur Selbsttötung erhalten könne, sieht Putz als unvereinbar mit § 217 StGB und damit als „Stichelei gegenüber dem Gesetzgeber“. Der Arzt habe keine „Garantenpflicht für das Leben, sondern für den Patientenwillen“ und eine illegale Suizidhilfe sei „beim Arzt immer Tötung durch Unterlassung, nicht nur unterlassene Hilfeleistung“, so Putz‘ Darstellung der Rechtslage. Der zweite Absatz des § 217 StGB stellt Angehörige und nahestehende Personen straffrei, wenn sie zum Beispiel den Suizidenten zum Sterbehelfer in die Schweiz fahren. Hilft der Arzt hingegen unmittelbar einem Patienten in Deutschland beim Suizid oder Sterbefasten, macht er sich grundsätzlich nach § 217 StGB strafbar. Darüber diskutierten über 20 Referentinnen und Referenten aus Politik, Recht, Kirche und dem Gesundheitswesen mit Betroffenen, Begleiterinnen und Begleitern sowie Angehörigen und Interessierten. Ein Indiz für das wachsame Interesse an diesem heiklen Thema zeigte die Teilnehmerzahl, war doch das Symposium mit über 180 Teilnehmerinnen und Teilnehmern ausgebucht. Das ganze Programm findet sich online unter www.ev-akademie-tutzing.de/ veranstaltungsarchiv
Dagmar Nedbal (BLÄK)
Juristische Forderungen wegen Fehlern betreffen Hausärzte eher selten. Aber wenn, dann können sie sehr belastend sein. Drei Fachanwälte, die meist Patienten vertreten, erläutern ihre Sicht der Dinge.
Von Christina Bauer
München. Schäden durch fehlerhafte Behandlung sind Patienten ein Graus. Ärzten allerdings auch, und dies umso mehr, wenn teure Klagen drohen. Die gute Nachricht für Hausärzte: Dass jemand von ihnen Schadenersatz oder Schmerzensgeld fordert, ist die absolute Ausnahme. Laut Behandlungsfehlerstatistik bearbeiteten Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen der Ärztekammern im Jahr 2017 im niedergelassenen Bereich 2054 Fälle, davon betraf nur jeder zehnte eine Hausarztpraxis. „Eine hausärztliche Haftung kommt relativ selten vor“, bestätigt Alexander Sessel im Gespräch mit der „Ärzte Zeitung“. Der Anwalt für Medizinrecht von der Münchner Kanzlei Putz, Sessel, Steldinger GbR arbeitet seit Jahren im Bereich Arzthaftungs- recht. Stelle ein Patient gegenüber niedergelassenen Ärzten Forderungen, dann meist an einen Facharzt. Die meisten Fälle betreffen Kliniken, und dort vor allem die Chirurgie. Ganz gingen Streitigkeiten aber auch an Hausärzten nicht vorbei. „Es gibt Fälle, in denen Hausärzte eine schwere Erkrankung nicht erkennen“, so Sessel. In Ausnahmefällen würden trotz klarer Hinweise etwa Herzinfarkte oder Schlaganfälle nicht erkannt. Statt den Patienten sofort an Notarzt oder Klinik zu überweisen, behandelt ein Hausarzt dann womöglich eine vermutete, harmlose Malaise wie Grippe oder Altersbeschwerden – mit möglicherweise fatalen Folgen. Sessel erinnert sich an den Fall einer 69-Jährigen aus dem Jahr 2014. Als deren Mann sie bewegungsunfähig zu Hause gefunden habe, habe er den Hausarzt gerufen. Statt sofort einen Krankenwagen zu schicken, habe der die beiden in die Praxis bestellt. Selbst nach EKG und Blutdruckmessung sei der Schlaganfall unerkannt geblieben. Die Patientin, eine Hypertonikerin, habe einen Blutdrucksenker bekommen. Erst am nächsten Morgen sei sie, in verschlimmertem Zustand, in eine Klinik gekommen, seitdem sei sie pflegebedürftig.
Vorsicht bei Umkehr der Beweislast
Da weder Arzt noch Versicherung einsichtig gewesen seien, habe der Fall vor Gericht verhandelt werden müssen. Der Gerichtsgutachter habe einen ursächlichen Zusammenhang zwischen Fehler und Schaden nicht zweifelsfrei feststellen können. Der schwer kranken Frau seien dann in einem Vergleich 12 000 Euro zugesprochen worden. Die angesichts der schlimmen Folgen gering anmutende Summe dürfte damit zusammenhängen, dass der Behandlungsfehler als leicht bewertet wurde. „Die Beweislast liegt beim Patienten“, stellt Sessels Kollegin Beate Steldinger im Gespräch mit der ,Ärzte Zeitung“ fest. Nur bei einem schweren Behandlungsfehler kehrt sich die Beweislast um. Dann muss der Arzt beweisen, dass es keinen Ursachenzusammenhang zwischen Fehler und Schaden gibt. Das Beispiel zeigt, wie hoch die Hürden für Patienten oft sind. Gerichtsverhandlungen bilden dabei nur einen relativ kleinen Teil des Geschehens ab. „Wir beenden über 90 Prozent der Fälle außergerichtlich“, so Steldinger. Das bedeute oft, dass es eine Einigung mit der Haftpflichtversicherung gebe. Es könne aber auch sein, dass das Geschehen am Ende nicht als Fehler gewertet oder kein ursächlicher Zusammenhang mit dem Schaden festgestellt werde.
Diagnostik als Fehlerquelle
Fachanwalt für Medizinrecht Thomas Hofknecht von der Landshuter Dr. Jockisch Rechtsanwaltsgesellschaft sieht ebenfalls besonders die Diagnostik als Fehlerquelle. Er vertritt derzeit unter anderem einen Mandanten, bei dem in der Hausarztpraxis eine Malariaerkrankung nicht erkannt wurde. Der Mann musste am Ende mehrere Tage auf die Intensivstation. „Grundsätzlich ist die Frage, ob etwas ein Behandlungsfehler ist, sehr vom Sachverständigen abhängig“, so Hofknecht zur „Ärzte Zeitung“. Dessen Einschätzung folge das Gericht fast immer, nicht zuletzt würden manche Gutachten auseinandergenommen. Ärzten, die irgendwann mit juristischen Forderungen konfrontiert sind, rät Sessel: „Der Arzt muss sofort seine Haftpflichtversicherung informieren, um seinen Versicherungsschutz nicht zu gefährden.“ Die übernehme alles Weitere. Patienten zu sagen, dass ein Fehler gemacht worden sein könnte, ändere am Versicherungsschutz aber nichts.
Eine Patientenverfügung kann für Ernstfälle vorsorgen – doch wie muss ich sie formulieren? Wie sind die Fallstricke? Und müssen Ärzte meine Wünsche respektieren? In Folge 1 der neuen AZ-Serie beantworten wir die wichtigsten Fragen
Von Irene Kleber
Manchmal geht es sehr schnell. Ein Mensch stürzt unglücklich auf der Treppe, gerät in einen Autounfall oder erleidet einen Schlaganfall – und wird im Wachkoma künstlich an Leben erhalten, ohne dazu noch seinen Willen äußern zu können. Oder eine Demenz kommt so schleichend, dass man den Moment verpasst hat, die Frage zu klären, wie man medizinisch behandelt werden will. Und wer eigentlich künftig über das eigene Leben und alle Belange entscheiden soll. Eine Patientenverfügung kann für diese Ernstfälle vorsorgen. Aber was ist das eigentlich genau? Und wie fasst man so ein Dokument ab, damit es im Fall der Fälle rechtsgültig ist? Die Informationen dazu sind vielfältig – und für viele Menschen verwirrend. Der Münchner Rechtsanwalt Wolfgang Putz, Lehrbeauftragter für Medizinrecht und Medizinethik an der Ludwig-Maximilians-Universität, schätzt, dass nur etwa jeder zweite über 60-Jährige in Bayern eine Patientenverfügung verfasst hat. Und dass zwei Drittel dieser Dokumente – weil fehlerhaft formuliert -untauglich sind. Für die AZ beantwortet er die wichtigsten Fragen.
Was ist eine Patientenverfügung?
Eine Patientenverfügung ist eine Willenserklärung für einen Fall in der Zukunft, in dem Sie plötzlich und unerwartet willensunfähig werden und auch bleiben. Sie wird dann wirksam, wenn Sie Ihre Zustimmung oder Ablehnung zu einer medizinischen Behandlung nicht mehr geben können. Für Ärzte ist eine solche Verfügung verbindlich – wenn sie konkret genug formuliert ist.
Kann meine Familie nicht alles regeln?
Nein. Damit Ihr (Ehe-)Partner oder Ihre Kinder in Ihrem Namen rechtsverbindlich über Ihre medizinische Behandlung entscheiden können, brauchen sie eine Vorsorgevollmacht von Ihnen. Diese können Sie mit Ihrer Patientenverfügung verknüpfen.
Warum konkrete Anweisungen?
Weit gefasste Formulierungen wie „keine lebenserhaltenden Maßnahmen“ sind in einer Patientenverfügung nicht ausreichend. Das hat der Bundesgerichtshof 2016 und 2017 entschieden. Sie sollten im Dokument konkrete Anweisungen geben – etwa zu künstlicher Ernährung und Beatmung, Schmerzbehandlung, Wiederbelebung und Organspende.
Wie formuliere ich konkret?
Es gibt dafür ein gutes Formular: Die Broschüre „Vorsorge für Unfall, Krankheit, Alter“, die das Bayerische Justizministerium herausgibt, bietet ein mehrseitiges Papier mit konkreten Anweisungen an, aus denen Sie wählen können. Außerdem sollten Sie zusätzliche Zeilen zu Ihren Wertvorstellungen notieren. Dafür ist ein extra Blatt vorgesehen.
Warum nicht alles völlig frei schreiben?
Einige Ratgeber empfehlen, eine Patientenverfügung aus möglichen Textbausteinen selbst zusammenzustellen. Sogar die Broschüre des Bundesjustizministeriums tut das. Ich rate davon ab, weil hier die Gefahr besteht, dass durch Kombination und gut gemeinte Ergänzungen Widersprüche entstehen, die bis zur rechtlichen Unwirksamkeit der getroffenen Verfügung führen können. Laien können das oft nicht erkennen.
Ist eine notarielle Beglaubigung nötig?
Nein. Die Patientenverfügung wird mit der eigenhändigen Unterschrift wirksam. Es empfiehlt sich, das Dokument jedes Jähr neu mit neuem Datum zu unterschreiben.
Wo hinterlege ich das Dokument?
Zum Beispiel zuhause in einem „Notfall“ -Ordner, der lesbar beschriftet ist – etwa zusammen mit einem Testament und anderen Vollmachten. Weisen Se Angehörige darauf hin, wo die Dokumente zu finden sind. Fertigen Se Kopien an, die Sie Ihren Angehörigen, Bevollmächtigen oder auch (nach Rücksprache) dem Hausarzt aushändigen.
Wann greift die Verfügung nicht?
Die Patientenverfügung greift dann noch nicht, wenn der Arzt noch keine sichere Prognose stellen kann. Etwa nach einem schweren Schlaganfall oder einer Wiederbelebung (jeweils mit folgender Bewusstlosigkeit). In der frühen Phase einer Gehirnschädigung ist in der Regel noch nicht abzusehen, ob der Patient seine Willensfähigkeit und Selbstbestimmung wiedererlangen kann. Der Arzt wird ihn deshalb zunächst (mit einer Magensonde) am Leben erhalten und Ihn mit der Hoffnung auf eine Besserung behandeln. Tritt die aber nicht ein, muss die künstliche Ernährung wieder beendet werden, wenn das den Vorgaben der Patientenverfügung entspricht. Der Arzt muss den Patienten jetzt so behandeln. dass er weder Hunger, Durst noch Schmerzen fühlt, aber friedlich sterben kann.
Was genau ist eine Vorsorgevollmacht?
Die Vorsorgevollmacht erlaubt der Person Ihres Vertrauens (das können Angehörige oder Freunde sein), in Ihrem Namen zu entscheiden und zu handeln. Diese Parson hat also die Aufgabe, den Ärzten im Ernstfall Ihre Wünsche klar zu machen und darauf zu achten, dass sie auch durchgesetzt werden. Es ist eine privatrechtliche Vereinbarung, die von keiner Institution geprüft oder kontrolliert wird. Es ist wichtig, dass Sie Ihre konkreten Wünsche vorher sehr genau mit dieser Person besprechen.
Darf ein Arzt diese Wünsche ignorieren?
Ein Arzt kann sich über die Einwilligungen oder Verbote des Vorsorgebevollmächtigten nicht einfach hinwegsetzen. Wenn er aber begründete Anhaltpunkte hat, dass der Bevollmächtigte nicht den wahren Willen des Patienten vertritt, muss er das Betreuungsgericht einschalten und nach dessen Entscheidung handeln. Etwa dann, wenn der Bevollmächtigte offensichtlich ein frühes Sterben bezweckt, um schneller erben zu können.
Und was ist eine Betreuungsverfügung?
Die Betreuungsverfügung ist (anders als die Vorsorgevollmacht) ein Dokument, in dem Sie schriftlich festlegen, wen das Betreuungsgericht im Ernstfall als Ihren rechtlichen Betreuer einsetzen soll – der sich etwa um Ihr Vermögen, die Kündigung von (Miet-)Verträgen oder die Frage kümmert, wo Sie im Pflegefall wohnen sollen. Wenn Sie eine solche Person nicht selbst festlegen, wählt ein Betreuungsrichter am Amtsgericht für Sie die Parson aus. Das kann dann ein Angehöriger sein, aber auch ein Berufsbetreuer oder ein fremder, ehrenamtlicher Betreuer, etwa von einem Betreuungsverein.
Wo kann ich mich beraten lassen?
Gute Anlaufstellen, die über diese Dokumente informieren, sind die Patientenstelle im „Gesundheitsladen“ in München, Beratungsstellen in Kirchen, Wohlfahrtsverbände, Hospizen – oder auch ein Mediziner. Ihr Arzt kann Ihnen erklären, welche medizinischen Folgen bestimmte Wünsche und Entscheidungen im Ernstfall für Sie haben werden.
Arzt muss Schmerzensgeld zahlen
Wie lange darf ein Mediziner einen unheilbar Kranken, der keine Patientenverfügung hat, und der sich auch nicht mehr äußern kann, am Leben erhalten? Ein aufsehenerregendes Urteil ist dazu 2017 gefallen. Das Oberlandesgericht verurteilte einen Hausarzt zur Zahlung von 40 000 Euro Schmerzensgeld, weil er einen 82-jährigen Mann im Endstadium der Demenz über Jahre künstlich am Leben erhalten hatte. Der schwer kranke Senior, denn in einem Münchner Pflegeheim lag, litt seit 1996 unter Demenz, eine Patientenverfügung hatte er nicht. Ein Betreuungsrichter hatte für ihn einen rechtlichen Betreuer bestimmt. 2006 wurde dem Senior, der nicht mehr sprechen und nicht mehr selbst essen und trinken konnte, eine Magensonde zur künstlichen Ernährung gelegt. Er konnte zuletzt keinen Kontakt mehr zu seiner Umwelt aufnehmen, litt unter Inkontinenz, Atemnot und Druckgeschwüren. Die Schwestern fixierten ihn manchmal ans Bett. Spätestens ein Jahr vor seinem Tod 2011 sei die künstliche Ernährung nicht mehr fachärztlich angemessen gewesen, sie habe das Leiden seines Vaters nur verlängert, argumentierte sein Sohn Heinrich Sening (58), der als Altenpfleger in den USA lebt. Das Gericht kam zu dem Schluss, dass der Arzt seine Pflicht verletzt hat. Er hätte die Fortsetzung der künstlichen Ernährung (oder deren Beendigung mit der Folge dass der Mann verstirbt), gründlich mit dem Betreuer erörtern müssen.
Nina Job