01.04.2016

Verpflegen

Richtig handeln bei der Sondenernährung


Kaum eine Ernährungsmethode ist mit so vielen Diskussionen behaftet wie die Sondenernährung – zumal sie meist erst im letzten Lebensstadium eines Bewohners eingesetzt wird. Für Pflegende stellen sich hier eine ganze Reihe von Fragen, die nicht nur ethische, sondern auch juristische Bedeutung haben. Der Münchner Rechtsanwalt Wolfgang Putz, Autor unter anderem des Buches „Sterben dürfen“ klärt für VERPFLEGEN hier die wichtigsten von ihnen

Ernährung durch eine Sonde stellt für jeden Bewohner einer Senioreneinrichtung einen tiefen Einschnitt dar. Es gibt kaum eine andere so riesige Konsequenz ins Leben eines Pflegebedürftigen als eine Sonde zur Ernährung. Das aus gleich mehreren Gründen.

  • Erstens fällt durch das Setzen der Sonde en des Regel eine sehr wichtige Komponente des Lebens im Alter, nämlich der soziale Kontakt beim Essen weg.
  • Zweitens fällt alles Genussvolle weg, die Lebenssituation verändert sich fundamental. Auch soziale Interaktionen wie das Essen Anreichen, ein liebevolles Kümmern, Aufmerksamkeit, Zuwendung entfällt.
  • Drittens bedeutet die Sonde den Komplettverlust des Genusses von Essen und Trinken: „Meinen Vater ohne Essen und Trinken können sie komplett vergessen“ – diese Wertung einer Angehörigen muss man subjektiv sehr ernst nehmen, weil sie aus Erfahrung darstellt, wie der Patient einen solchen Einschnitt gewertet hatte

Grundsätzlich eine medizinische Entscheidung
Wer trifft nun in der Praxis die Entscheidung, ob eine PEG-Sonde gelegt wird oder nicht? Die künstliche Ernährung über jegliche Art von Magensonde ist immer eine medizinische Behandlung – damit entscheidet letztendlich der Arzt. Jedoch geht auch das nicht willkürlich. Zuerst muss der Arzt die Kriterien der medizinischen Indikation bejahen, die sogenannte Indikationsstellung Ist die PEG-Sonde nicht indiziert, darf er sie nicht setzen. Entscheidend ist als zweites, den Patientenwillen zu ermitteln. Wenn der Patientenwille der an sich indizierten Sonde entgegensteht, darf sie ebenfalls nicht gesetzt werden. Dennoch behält der Arzt bei dieser Entscheidung eine wichtige Rolle. Erst muss er die Indikation stellen. Sodann hat er eine besondere Rolle als Berater gegenüber den Entscheidungsträgern. Er muss sie über alle Vor- und Nachteile, aber auch über alle Punkte beraten: z.B. über Versorgungsprobleme, Erbrechen usw. Es gibt eine Menge Aufklärungspflichten, die aber in der Regel nicht eingehalten werden. Wenn der Patient zu einer solchen Entscheidung nicht mehr selbst in der Lage ist, darf oder muss ein Angehöriger stellvertretend eine Entscheidung treffen.

Der Angehörige muss richtig legitimiert sein
Dieser Angehörige aber muss dazu legitimiert sein. Denn nur der gesetzlich legitimierte Vertreter des Patienten – ausgewiesen durch eine Vollmacht oder als vom Betreuungsgericht eingesetzter rechtlicher Betreuer – darf hier entscheiden. Ein solchermaßen legitimierter Vertreter kann sagen, ob die angedachte Entscheidung dem Willen des Patienten entspricht oder nicht. Diesem Willen muss er Ausdruck und Geltung verschaffen. Das heißt er muss ihn mit allen rechtlich zur Verfügung stehenden Mitteln durchsetzen. Bei dieser Entscheidung spielen also ethische oder moralische Forderungen, die zum Setzen einer Sonde gegen den Willen des Patienten führen können, keine Rolle.

Der Wille des Patienten steht im Mittelpunkt
Denn Ethik und Moral gebieten, den Patientenwillen auf jeden Fall zu respektieren. Es gibt keine ethisch-moralische Legitimation sich über den Patientenwillen hinwegzusetzen. Ich kann also nicht einfach argumentieren, eine Sonde nicht zu setzen sei ethisch unmoralisch, weil der Patient nicht verhungern und verdursten darf – das geht ausdrücklich nicht! Patient und Angehörige als rechtliche Vertreter des Patienten und Arzt treffen eine Entscheidung – und das Pflegepersonal muss sie umsetzen. Das Personal im Heim ist stets an die ärztliche  Anweisung und Vorgaben gebunden. Es  kümmert sich um die delegierte ärztliche  Behandlung – die sogenannte Behandlungspflege. Deshalb reden Pflegekräfte auch nicht  mit, wenn die Frage entschieden werden  muss, ob eine Sonde gelegt werden soll oder  nicht. Darüber entscheidet allein der Arzt. Eine  denkbare Ausnahme wäre: Eine Pflegerin weiß  als Zeugin, was der Patient einmal zur Frage  der künstlichen Lebensverlängerung gesagt  hat – also rein faktische Dinge in einer  möglichen Rolle als Zeugin.

Eine schwierige Situation für  Pflegende!
Leider funktioniert diese Trennung der  Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten so  in der Praxis nicht immer. Im Alltag der  Einrichtung bringt sich die Pflege manchmal  immer noch ein. Die künstliche Ernährung mit  der Sonde hat aber eben nicht mit Essen und  Trinken in der Pflege zu tun. Eine Sonde ersetzt nur Essen und Trinken. So wenig wie das nicht-ärztliche Personal über die künstliche  Niere entscheidet, so wenig hat es über die  Sondenernährung zu entscheiden. Deshalb kann auch eine Sonde nicht gegen  den Willen des Patienten, wie er vom Betreuer  oder vom Bevollmächtigten übermittelt wird,  gelegt werden. Entscheidend ist immer nur der Wille des  Patienten, nicht der des Arztes, der Angehörigen oder der Pflegekräfte. Eine Sondenernäh – rung gegen den Patientenwillen ist strafbar. Das Pflegepersonal muss den Willen des  Patienten unbedingt beachten, um sich nicht  strafbar zu machen. Wer eigenmächtig und  gegen den Willen des Patienten künstlich  ernährt, begeht eine Körperverletzung oder  – etwa bei Komplikationen – sogar eine  Tötung. Beides ist immer strafbar.

Das Gericht spricht stets ein  Wort mit
Eine gerichtliche Entscheidung muss in  Ausnahmefällen über den vorgelegten Willen  des Patienten getroffen werden, und zwar nur  dann, wenn der Arzt den Willen des Patienten,  wie er von den Verwandten vorgetragen wird,  nicht glaubt, oder er den Verdacht hegt, die  Patientenverfügung könne gefälscht sein.  Wenn der Arzt sagt, „Ich glaube nicht, was  man mir erzählt oder was man mir an  Dokumenten vorlegt“ – dann ist das Gericht  gefragt. Übrigens beschäftigen sich die häufigsten  rechtlichen Fragen in Bezug auf das Legen  einer PEG-Sonde mit dem Nicht-Legen oder  Entfernen der Sonde – ist das ein Tötungsdelikt? Der BGH stellte am 25. Juni 2010 klar: Es  ist keine strafbare Sterbehilfe, wenn man  dem Willen des Patienten folgt. Ganz im  Gegenteil: Das Sterben durch die Sonde zu  verlängern, ist häufig bereits kontraindiziert  und damit als Körperverletzung strafbar. Das  passt auch zu den Grundsätzen der Bundesärztekammer zur Sterbebegleitung seit 1998:  „Lebenserhaltungspflicht nur innerhalb der  Grenzen des Patientenwillens“

Darf man einen Menschen  verhungern lassen?
Offensichtlich aber gibt es gerade bei diesen  Fragen immer noch eine Menge falscher  Vorstellungen – nicht nur in der ethischen  Frage sondern auch über die tatsächlichen  Vorgänge im Körper eines Sterbenden. Die  Vorstellung, bei Beenden der künstlichen  Ernährung drohe ein grausamer Tod, ist  falsch. Es kommt vielmehr zu einer terminalen  Urämie. Der Patient wird müde, schläft ein,  fällt in Ohnmacht, in ein tiefes Koma und  verstirbt ohne Empfinden von Leid in tiefster  Bewusstlosigkeit. Der Patient stirbt, wie es  sich jeder wünscht: „Ich möchte nicht leiden  und einfach hinüberschlafen!“ Ein Standardfall ist etwa der Demenzkranke,  der meist schon nicht mehr ausreichend isst  und immer weniger trinkt. Da beginnt das  natürliche Sterben bei Demenz. Wenn Sie  einen solchen Patienten mit Wasser vollpumpen, retten Sie am Gehirnabbau trotzdem  nichts. Heute ist es aus medizinischer Sicht  der Goldstandard, bei Demenz in der Regel  nicht mehr auf eine künstliche Ernährung mit  Hilfe einer Sonde überzugehen.  Grundsätzlich bleibt als Fazit festzuhalten:  Natürlich ist es in jedem einzelnen Fall der  Erwägung einer künstlichen Ernährung zuerst  immer eine ärztliche Entscheidung nach  strenger Indikationsstellung für den Bewohner. Und immer muss der Wille des Patienten  beachtet werden. Deshalb sollte bei der  Palliativ-Pflege über jedem Bett stehen: Des  Menschen Wille ist sein Himmelreich!

Ein besonderer Fall: Sondenernährung bei Demenz
Bei Bewohnern mit fortgeschrittener Demenz,  die zu einer oralen Nahrungsaufnahme nicht  mehr fähig sind, erfolgt in Einrichtungen oft  die Versorgung mit einem durch die Bauchdecke in den Magen eingeführten Schlauch (so genannte PEG-Sonde) zur künstlichen Ernährung von Bewohnern, so eine Feststellung von  Prof. Gian Domenico Borasio anlässlich der  Sachverständigenanhörung im Rechtsausschuss  des Bundestags am 04.03.2009. Alle vorhandenen Studien haben keine  Hinweise dafür ergeben, dass die mit dieser  Maßnahme angestrebten Therapieziele  erreicht werden können. Es zeigen sich keine dung. Daher wurde schon vor Jahren von Experten ausgesprochen: „Dieses Missverhältnis zwischen Vorteilen und Nachteilen der  künstlichen Ernährung begründet die Empfehlung, dass künstliche Ernährung bei Patienten  mit fortgeschrittener Demenz nicht angewen- Dort heißt es weiter, dass alle vorhandenen  Studien keinen Hinweis dafür ergeben hätten,  dass die mit dieser Maßnahme angestrebten  Therapieziele erreicht worden seien. Es zeigten  sich, so der Palliativmediziner aus Lausanne weiter, keine Unterschiede hinsichtlich  Lebensverlängerung, Verbesserung des  Ernährungsstatus, Verbesserung der Lebensqualität, Verbesserung der Wundheilung oder  Verringerung der Aspirationsgefahr. Letztere  sei sogar bei Patienten mit PEG-Sonde leicht,  aber signifikant erhöht. Die PEG-Sonde habe  außerdem schwere potentielle Nebenwirkungen, wie lokale und systemische Entzündungen, Verlust der Freude am Essen und  Verringerung der pflegerischen Zuwendung.  Daher wurde schon vor Jahren von Experten  festgestellt: Dieses Missverhältnis zwischen  Vorteilen und Nachteilen der künstlichen  Ernährung sei Grund genug für eine Empfehlung, dass künstliche Ernährung bei Patienten  mit fortgeschrittener Demenz nicht angewendet werden sollte. Das Fazit des Sachverständigen: „Es fehlt für diese Maßnahme in  dieser Patientengruppe schlicht die medizinische Indikation – trotzdem wird sie über  100.000 Mal jährlich in Deutschland durchgeführt.“


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