Kaum eine Ernährungsmethode ist mit so vielen Diskussionen behaftet wie die Sondenernährung – zumal sie meist erst im letzten Lebensstadium eines Bewohners eingesetzt wird. Für Pflegende stellen sich hier eine ganze Reihe von Fragen, die nicht nur ethische, sondern auch juristische Bedeutung haben. Der Münchner Rechtsanwalt Wolfgang Putz, Autor unter anderem des Buches „Sterben dürfen“ klärt für VERPFLEGEN hier die wichtigsten von ihnen
Ernährung durch eine Sonde stellt für jeden Bewohner einer Senioreneinrichtung einen tiefen Einschnitt dar. Es gibt kaum eine andere so riesige Konsequenz ins Leben eines Pflegebedürftigen als eine Sonde zur Ernährung. Das aus gleich mehreren Gründen.
- Erstens fällt durch das Setzen der Sonde en des Regel eine sehr wichtige Komponente des Lebens im Alter, nämlich der soziale Kontakt beim Essen weg.
- Zweitens fällt alles Genussvolle weg, die Lebenssituation verändert sich fundamental. Auch soziale Interaktionen wie das Essen Anreichen, ein liebevolles Kümmern, Aufmerksamkeit, Zuwendung entfällt.
- Drittens bedeutet die Sonde den Komplettverlust des Genusses von Essen und Trinken: „Meinen Vater ohne Essen und Trinken können sie komplett vergessen“ – diese Wertung einer Angehörigen muss man subjektiv sehr ernst nehmen, weil sie aus Erfahrung darstellt, wie der Patient einen solchen Einschnitt gewertet hatte
Grundsätzlich eine medizinische Entscheidung
Wer trifft nun in der Praxis die Entscheidung, ob eine PEG-Sonde gelegt wird oder nicht? Die künstliche Ernährung über jegliche Art von Magensonde ist immer eine medizinische Behandlung – damit entscheidet letztendlich der Arzt. Jedoch geht auch das nicht willkürlich. Zuerst muss der Arzt die Kriterien der medizinischen Indikation bejahen, die sogenannte Indikationsstellung Ist die PEG-Sonde nicht indiziert, darf er sie nicht setzen. Entscheidend ist als zweites, den Patientenwillen zu ermitteln. Wenn der Patientenwille der an sich indizierten Sonde entgegensteht, darf sie ebenfalls nicht gesetzt werden. Dennoch behält der Arzt bei dieser Entscheidung eine wichtige Rolle. Erst muss er die Indikation stellen. Sodann hat er eine besondere Rolle als Berater gegenüber den Entscheidungsträgern. Er muss sie über alle Vor- und Nachteile, aber auch über alle Punkte beraten: z.B. über Versorgungsprobleme, Erbrechen usw. Es gibt eine Menge Aufklärungspflichten, die aber in der Regel nicht eingehalten werden. Wenn der Patient zu einer solchen Entscheidung nicht mehr selbst in der Lage ist, darf oder muss ein Angehöriger stellvertretend eine Entscheidung treffen.
Der Angehörige muss richtig legitimiert sein
Dieser Angehörige aber muss dazu legitimiert sein. Denn nur der gesetzlich legitimierte Vertreter des Patienten – ausgewiesen durch eine Vollmacht oder als vom Betreuungsgericht eingesetzter rechtlicher Betreuer – darf hier entscheiden. Ein solchermaßen legitimierter Vertreter kann sagen, ob die angedachte Entscheidung dem Willen des Patienten entspricht oder nicht. Diesem Willen muss er Ausdruck und Geltung verschaffen. Das heißt er muss ihn mit allen rechtlich zur Verfügung stehenden Mitteln durchsetzen. Bei dieser Entscheidung spielen also ethische oder moralische Forderungen, die zum Setzen einer Sonde gegen den Willen des Patienten führen können, keine Rolle.
Der Wille des Patienten steht im Mittelpunkt
Denn Ethik und Moral gebieten, den Patientenwillen auf jeden Fall zu respektieren. Es gibt keine ethisch-moralische Legitimation sich über den Patientenwillen hinwegzusetzen. Ich kann also nicht einfach argumentieren, eine Sonde nicht zu setzen sei ethisch unmoralisch, weil der Patient nicht verhungern und verdursten darf – das geht ausdrücklich nicht! Patient und Angehörige als rechtliche Vertreter des Patienten und Arzt treffen eine Entscheidung – und das Pflegepersonal muss sie umsetzen. Das Personal im Heim ist stets an die ärztliche Anweisung und Vorgaben gebunden. Es kümmert sich um die delegierte ärztliche Behandlung – die sogenannte Behandlungspflege. Deshalb reden Pflegekräfte auch nicht mit, wenn die Frage entschieden werden muss, ob eine Sonde gelegt werden soll oder nicht. Darüber entscheidet allein der Arzt. Eine denkbare Ausnahme wäre: Eine Pflegerin weiß als Zeugin, was der Patient einmal zur Frage der künstlichen Lebensverlängerung gesagt hat – also rein faktische Dinge in einer möglichen Rolle als Zeugin.
Eine schwierige Situation für Pflegende!
Leider funktioniert diese Trennung der Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten so in der Praxis nicht immer. Im Alltag der Einrichtung bringt sich die Pflege manchmal immer noch ein. Die künstliche Ernährung mit der Sonde hat aber eben nicht mit Essen und Trinken in der Pflege zu tun. Eine Sonde ersetzt nur Essen und Trinken. So wenig wie das nicht-ärztliche Personal über die künstliche Niere entscheidet, so wenig hat es über die Sondenernährung zu entscheiden. Deshalb kann auch eine Sonde nicht gegen den Willen des Patienten, wie er vom Betreuer oder vom Bevollmächtigten übermittelt wird, gelegt werden. Entscheidend ist immer nur der Wille des Patienten, nicht der des Arztes, der Angehörigen oder der Pflegekräfte. Eine Sondenernäh – rung gegen den Patientenwillen ist strafbar. Das Pflegepersonal muss den Willen des Patienten unbedingt beachten, um sich nicht strafbar zu machen. Wer eigenmächtig und gegen den Willen des Patienten künstlich ernährt, begeht eine Körperverletzung oder – etwa bei Komplikationen – sogar eine Tötung. Beides ist immer strafbar.
Das Gericht spricht stets ein Wort mit
Eine gerichtliche Entscheidung muss in Ausnahmefällen über den vorgelegten Willen des Patienten getroffen werden, und zwar nur dann, wenn der Arzt den Willen des Patienten, wie er von den Verwandten vorgetragen wird, nicht glaubt, oder er den Verdacht hegt, die Patientenverfügung könne gefälscht sein. Wenn der Arzt sagt, „Ich glaube nicht, was man mir erzählt oder was man mir an Dokumenten vorlegt“ – dann ist das Gericht gefragt. Übrigens beschäftigen sich die häufigsten rechtlichen Fragen in Bezug auf das Legen einer PEG-Sonde mit dem Nicht-Legen oder Entfernen der Sonde – ist das ein Tötungsdelikt? Der BGH stellte am 25. Juni 2010 klar: Es ist keine strafbare Sterbehilfe, wenn man dem Willen des Patienten folgt. Ganz im Gegenteil: Das Sterben durch die Sonde zu verlängern, ist häufig bereits kontraindiziert und damit als Körperverletzung strafbar. Das passt auch zu den Grundsätzen der Bundesärztekammer zur Sterbebegleitung seit 1998: „Lebenserhaltungspflicht nur innerhalb der Grenzen des Patientenwillens“
Darf man einen Menschen verhungern lassen?
Offensichtlich aber gibt es gerade bei diesen Fragen immer noch eine Menge falscher Vorstellungen – nicht nur in der ethischen Frage sondern auch über die tatsächlichen Vorgänge im Körper eines Sterbenden. Die Vorstellung, bei Beenden der künstlichen Ernährung drohe ein grausamer Tod, ist falsch. Es kommt vielmehr zu einer terminalen Urämie. Der Patient wird müde, schläft ein, fällt in Ohnmacht, in ein tiefes Koma und verstirbt ohne Empfinden von Leid in tiefster Bewusstlosigkeit. Der Patient stirbt, wie es sich jeder wünscht: „Ich möchte nicht leiden und einfach hinüberschlafen!“ Ein Standardfall ist etwa der Demenzkranke, der meist schon nicht mehr ausreichend isst und immer weniger trinkt. Da beginnt das natürliche Sterben bei Demenz. Wenn Sie einen solchen Patienten mit Wasser vollpumpen, retten Sie am Gehirnabbau trotzdem nichts. Heute ist es aus medizinischer Sicht der Goldstandard, bei Demenz in der Regel nicht mehr auf eine künstliche Ernährung mit Hilfe einer Sonde überzugehen. Grundsätzlich bleibt als Fazit festzuhalten: Natürlich ist es in jedem einzelnen Fall der Erwägung einer künstlichen Ernährung zuerst immer eine ärztliche Entscheidung nach strenger Indikationsstellung für den Bewohner. Und immer muss der Wille des Patienten beachtet werden. Deshalb sollte bei der Palliativ-Pflege über jedem Bett stehen: Des Menschen Wille ist sein Himmelreich!
Ein besonderer Fall: Sondenernährung bei Demenz
Bei Bewohnern mit fortgeschrittener Demenz, die zu einer oralen Nahrungsaufnahme nicht mehr fähig sind, erfolgt in Einrichtungen oft die Versorgung mit einem durch die Bauchdecke in den Magen eingeführten Schlauch (so genannte PEG-Sonde) zur künstlichen Ernährung von Bewohnern, so eine Feststellung von Prof. Gian Domenico Borasio anlässlich der Sachverständigenanhörung im Rechtsausschuss des Bundestags am 04.03.2009. Alle vorhandenen Studien haben keine Hinweise dafür ergeben, dass die mit dieser Maßnahme angestrebten Therapieziele erreicht werden können. Es zeigen sich keine dung. Daher wurde schon vor Jahren von Experten ausgesprochen: „Dieses Missverhältnis zwischen Vorteilen und Nachteilen der künstlichen Ernährung begründet die Empfehlung, dass künstliche Ernährung bei Patienten mit fortgeschrittener Demenz nicht angewen- Dort heißt es weiter, dass alle vorhandenen Studien keinen Hinweis dafür ergeben hätten, dass die mit dieser Maßnahme angestrebten Therapieziele erreicht worden seien. Es zeigten sich, so der Palliativmediziner aus Lausanne weiter, keine Unterschiede hinsichtlich Lebensverlängerung, Verbesserung des Ernährungsstatus, Verbesserung der Lebensqualität, Verbesserung der Wundheilung oder Verringerung der Aspirationsgefahr. Letztere sei sogar bei Patienten mit PEG-Sonde leicht, aber signifikant erhöht. Die PEG-Sonde habe außerdem schwere potentielle Nebenwirkungen, wie lokale und systemische Entzündungen, Verlust der Freude am Essen und Verringerung der pflegerischen Zuwendung. Daher wurde schon vor Jahren von Experten festgestellt: Dieses Missverhältnis zwischen Vorteilen und Nachteilen der künstlichen Ernährung sei Grund genug für eine Empfehlung, dass künstliche Ernährung bei Patienten mit fortgeschrittener Demenz nicht angewendet werden sollte. Das Fazit des Sachverständigen: „Es fehlt für diese Maßnahme in dieser Patientengruppe schlicht die medizinische Indikation – trotzdem wird sie über 100.000 Mal jährlich in Deutschland durchgeführt.“