14.03.2022

TZ

Pfusch bei der medizinischen Behandlung


Pfusch bei der medizinischen Behandlung: Das müssen Patienten wissen
Wenn Ärzte Fehler machen

Stress mit dem Vermieter, Ärger in der Arbeit oder zähes Ringen mit der Bank: Im Alltag stehen viele Münchner vor rechtlichen Problemen, die unangenehm und teuer werden können – wenn man sich nicht auskennt! In unserer Serie zeigen wir an Beispiel fällen, welche Konflikte es geben kann – und wo die Lösung liegt. Was steht Ihnen zu, wo muss man aufpassen? Kurz gesagt: Was ist Ihr gutes Recht? Das erklären Münchner Topanwälte in der tz. Im letzten Teil der Serie geht es um Fehler bei einer ärztlichen Behandlung – und um die Frage: Was kann man tun, wenn man Opfer von Pfusch geworden ist? Wen muss man einschalten?
Von ANDREAS THIEME

Fall 1: Tumor übersehen

Warum nur lernt der kleine Max so spät sprechen? Warum entwickelt er sich langsamer als andere Kleinkinder? Diese Fragen stellen sich Anna K. und ihr Mann Felix (alle Namengeändert) immer wieder. Denn zunächst war Max noch unauffällig, doch dass er Schwierigkeiten hat, wird dann immer offensichtlicher. „Max war immer sehr spät dran. Wir suchten deshalb Rat bei unserer Kinderärztin“, erzählt die Mutter. „Doch sie nahm alles sehr locker und versuchte uns immer nur zu beruhigen: Wir sollten doch bitte Geduld haben mit dem Kind.“ Also warteten die Eltern weiter ab. Bis sie sich dann doch entschlossen, eine zweite Meinung einzuholen. Bei der Bildgebung dann der Schock: In seinem Kopf hatte Max einen sehr großen Hirntumor und musste sofort operiert werden. Kurz vor seinem zweiten Geburtstag bangte die Familie um den kleinen Buben. Zwar hatte der Kleine den stundenlangen Eingriff verhältnismäßig gut überstanden, doch: „Der Tumor hatte bereits viel Hirnstruktur zerstört“, sagt seine Mutter. Die Folgen sind schlimm: Max ist heute geistig und körperlich behindert. „Er wird nie ein selbstständiges Leben führen können.“ Die Familie stand plötzlich vor einer neuen Realität. Erst zwei Jahre später ließ sie den Fall dann von einem Rechtsanwalt prüfen. „Wir kamen eher durch Zufall auf dieses Thema“, sagt Anna K. Doch schnell stellt sich heraus: Die Ärztin hat schwere Behandlungsfehler gemacht. „Und einfach nicht genau hingeschaut“, kritisiert Anna K. Bitter: Dadurch wurde der Tumor im Kopf des kleinen Max nicht rechtzeitig entdeckt – und konnte anderthalb Jahre lang ungebremst wachsen. „Man kann das kaum in Worte fassen“, sagt Anna K. Denn sie weiß: Wäre die Kinderärztin sorgfältiger vorgegangen, würde Max heute ein anderes Leben führen. Doch Tatsache ist: „Er hat mehrere schwere körperliche Behinderungen und kann sprechen, aber nicht verständlich. Mein Junge leidet sehr darunter, das äußert sich oft in aggressivem Verhalten“, sagt die Mutter. Trotz dieser schwierigen Situation ist sie gefasst und sagt: „Natürlich war das eine Zerreißprobe für unsere Familie. Aber wir haben gelernt, damit zu leben und tragen unser Schicksal gemeinsam.“ Vor Gericht hatten Max und seine Familie mit einer Klage Erfolg. Sie bekamen rund eine Million Euro Schmerzensgeld zugesprochen. Juristisch ein Sieg – emotional zumindest ein Stück weit auch Genugtuung. Doch Anna K. gibt zu bedenken: „Gemessen daran, dass Max lebenslang intensive Unterstützung benötigen wird, wird diese Summe auch irgendwann verbraucht sein.“ Was man aus ihrer traurigen Geschichte mitnehmen könne? Dass man in so einer Extremsituation natürlich Hilfe von außen zulassen sollte – gerade als Familie. Und: „Holen Sie im Zweifel immer eine zweite Meinung von einem Arzt ein.“

Das sagt der Rechtsexperte:
Anwalt Manuel Soukup

Bei den Vorsorgeuntersuchungen des Bubs war eine Vergrößerung des Kopfumfangs zu beobachten. Die normabweichenden Werte wurden von der Kinderärztin zwar dokumentiert, aber nicht zum Anlass genommen, den Knaben der gebotenen Abklärung zuzuführen. Die Kinderärztin behauptete, dass die Praxissoftware mit einem Fehler behaftet gewesen sei, der zu inkorrekten Ergebnissen führte. Daher läge kein Behandlungsfehler vor. Zudem wurde von ihr bestritten, dass die Schädigung ausgeblieben wäre, wenn die Therapie zu einem früheren Zeitpunkt stattgefunden hätte. Der Gutachter kam zu dem Schluss, dass das Verhalten der Kinderärztin einen nicht mehr verständlichen Verstoß gegen elementare medizinische Grundkenntnisse darstelle. Auf Vorschlag des Gerichts endete das Verfahren durch einen Vergleich.

Fall 2: Embolie nach Sportunfall

Ein Sportunfall hatte Antje H. (50) von einem Moment auf den anderen in die Knie gezwungen. „Ich habe mir bei einem Sturz einen leichten Wirbelsäulenanbruch zugezogen“, sagt die Münchnerin. Der Arzt riet ihr zu einer konventionellen Heilung per Stützkorsett – eine Operation kam nicht infrage, stattdessen sollte sich Antje H. schonen. Doch bei ihr gab es eine Besonderheit: „Ich hatte schon mal eine Lungenembolie erlitten und bekam deshalb Heparin verschrieben.“ Der Arzt hatte die Prophylaxe jedoch ein paar Tage zu spät begonnen – und die Dosis „zunächst richtig verschrieben, dann aber zu schnell auf ein geringeres Maß reduziert“, sagt Antje H. Die schlimme Folge: „Nach drei Wochen kam ich kaum noch auf.“ Sie stellte sich erneut bei ihrem Arzt vor und ließ die Wirbelsäule im MRT checken. Der Befund: unauffällig. Antje H. solle sich weiter schonen, riet der Mediziner. „Ich wurde dann immer bettlägriger, die Mobilisierung kam einfach nicht in Gang“, sagt Antje H. Zwei Monate lang wurde sie schwächerund schwächer – bis sie in ihrer Not dann einen Internisten aufsuchte. Die Untersuchung ergab: Lungenembolie! Lebensgefahr! Antje wurde direkt in ein Klinikum gebracht, danach folgten sechs Wochen Reha. Insgesamt vier Monate lang dauerte die Leidensgeschichte der Hausfrau. Als die Krankenkasse dann auch Kosten für die Behandlung forderte, ließ Antje H. ein Gutachten anfertigen. Das Ergebnis: Ärztepfusch–mit hohem Sterberisiko! „Das Ergebnis war eine Erleichterung für mich“, sagt Antje H. Später reichte sie dann Klage ein – per Gericht wurde ihr ein Schmerzensgeld in Höhe von rund 40 000 Euro zugesprochen. „Natürlich war das eine Genugtuung. Mehr noch aber eine Wiederherstellung meiner persönlichen Würde.“ Denn trotz des offensichtlichen Fehlers, der Antje H. beinahe das Leben kostete, hatte der Arzt seinen Fehler im Prozess sogar noch abgestritten. Am Ende kam es zu einem außergerichtlichen Vergleich.

Das sagt der Rechtsexperte:
Anwalt Alexander Sessel

Die Krankenversicherung (später auch die Patientin) verklagten den Arzt. Die vom Gericht bestellte Sachverständige bestätigte einen groben Behandlungsfehler des Orthopäden. Die Haftpflichtversicherung des Arztes lenkte ein. Um die Verfahren zügig abzuschließen, wurden die Verfahren durch Vergleich beendet. In dem Fall zeigt sich wieder die Unterstützung geschädigter Patienten durch die gesetzlichen Krankenversicherungen. Jeder Patient kann vermeintliche Behandlungsfehler dort prüfen lassen. Es wird dann ein kostenfreies Gutachten des Medizinischen Dienstes eingeholt.


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