01.03.2019

Guter Rat

Patientenverfügung – nächster Versuch


Familiendrama Ein kürzlich vor dem BGH beendeter Streit über die Wirksamkeit einer Patientenverfügung legt nahe, dass viele Dokumente überarbeitet werden sollten. Was jetzt zu tun ist

D ie Patientin war sich in gesunden Zeiten völlig sicher, dass sie für den Ernstfall vorgesorgt hatte: »So etwas kann mir nicht passieren«, sagte sie mit Blick auf zwei Wachkoma-Fälle im nahen Umfeld, »schließlich habe ich ja eine Patientenverfügung.«
1998 hatte sie das Dokument aufgesetzt, in dem sie unter anderem klarstellte, dass sie für den Fall, dass »keine Aussicht auf Wiedererlangung des Bewusstseins« bestehe, keine lebensverlängernden Maßnahmen mehr wünschte. Nur Schmerzen und Angst sollten dann noch medikamentös gelindert werden.
Tatsächlich wurden ihre schlimmsten Ahnungen wahr: 2008 erlitt die damals 68-Jährige einen schweren Schlaganfall, kurze Zeit später fiel sie nach -einem Herz-Kreislauf-Stillstand in ein dauerhaftes Wachkoma und wurde seither über eine PEG-Sonde, einen Schlauch durch die Bauchdecke in den Magen, künstlich ernährt. Im vergangenen November entschied abschließend der Bundesgerichtshof, dass ihre Patientenverfügung umgesetzt werden muss. Die Frau durfte nun endlich sterben.

Festlegungen sind bindend

Seit 2009 gilt der Grundsatz, dass Patientenverfügungen für Ärzte und Betreuer verbindlich sind – sie müssen umgesetzt werden, auch durch die sogenannte passive Sterbehilfe, bei der medizinische Behandlungen unterlassen oder abgebrochen werden. Im Fall der Wachkoma-Patientin kamen aber einige Umstände hinzu, die letztlich doch dafür sorgten, dass die Patientin länger am Leben gehalten wurde, als sie es ursprünglich -gewünscht hatte. Denn die Patientenverfügung aus dem Jahr 1998 untersagte – im Gegensatz zu den -inzwischen üblichen Mustern – nicht konkret die künstliche Ernährung und Flüssigkeits-zufuhr, sondern es war nur von »lebensverlängernden Maßnahmen« die Rede, die unterbleiben sollten. Außerdem enthielt die Verfügung den Passus »Aktive Sterbehilfe lehne ich ab«, der zumindest beim ebenfalls tief katholisch geprägten Ehemann den Schluss zuließ, dass nach dem Verständnis der katho-lischen Kirche im Jahr 1998 damit auch ein Abbruch der künstlichen Ernährung ausgeschlossen sei.
Nach §1904 des Bürgerlichen Gesetzbuchs bedürfen Entscheidungen, die die Gefahr einschließen, dass der Patient stirbt, einer Einwilligung des Betreuungsgerichts, sofern die Patientenverfügung nicht unzweifelhafte Festlegungen enthält. Dies führte hier zu fast endlosen Verzögerungen. Denn während der ursprünglich zur Durchsetzung der Patientenverfügung bevollmächtigte Sohn seit 2012 den Abbruch der Sondenernährung forderte, wehrte sich der ebenfalls als -alleinvertretungsberechtigter Betreuer eingesetzte Ehemann der Patientin vehement dagegen. Er fürchtete, dass seine Frau, die er selbst pflegte, durch die Einstellung der Ernährung leiden könnte.

Nachdem zwei Instanzen die Einstellung der Sondenernährung per Beschluss untersagt hatten, entschied der Bundesgerichtshof im Februar 2017, dass die -Gerichte eine Patientenverfügung primär nach ihrem schriftlich niedergelegten -Inhalt auszulegen haben und sich nicht in Erwägungen über das Wertesystem der betroffenen Person verlieren dürfen (Az. XII ZB 604/15). Sofern eine Patienten-verfügung hinreichend konkret den Willen des Patienten zum Ausdruck bringt, müssen die zur Genehmigung angerufenen Betreuungsgerichte ein sogenanntes Negativattest erteilen. Das bedeutet, dass eine gerichtliche Zustimmung nicht nötig ist und der Betreuer den Willen des Patien-ten allein zur Geltung bringen kann.

BGH-Senat gibt klare Linie vor

Im Streit um das Schicksal der Patientin musste nun aber geklärt werden, ob die Patientin noch eine Chance hat, ins Bewusstsein zurückzukehren. Nachdem der Gutachter dies eindeutig verneinte, erteilte das Landgericht das Negativattest – -allerdings gelangte die Sache wegen einer Beschwerde des Ehemanns noch einmal zum BGH. Dort wurde das Urteil des Landgerichts vollumfänglich bestätigt: Soweit eine wirksame Patientenverfügung vorliegt, sind die Gerichte nicht zur Genehmi-gung des Abbruchs der lebenserhaltenden Maßnahmen berufen, sondern haben die eigene Entscheidung der Betroffenen zu akzeptieren und ein Negativattest zu erteilen (Az. XII ZB 107/18).

Dass der Ordnungsruf des XII. Senats alle Unklarheiten beseitigt, ist angesichts der vielen Textmuster, die in den vergangenen dreißig Jahren kursierten, keineswegs zu erwarten – denn die Verantwortung liegt bei denen, die ein solches Dokument errichten.

Rechtsanwältin Tanja Unger aus der u. a. auf Patientenverfügungen spezialisierten Kanzlei Putz, Sessel, Steldinger (www.putz-medizinrecht.de) rät vor dem Hintergrund dieses tragisch anmutenden Rechtsstreits dazu, sich vor dem Verfassen einer Patientenverfügung vor Augen zu führen, um was es im Grundsatz geht: »Der Zweck einer Patientenverfügung ist, in bestimmten Behandlungssituationen bestimmte lebensverlängernde Maßnahmen, wie zum Beispiel eine künstliche Ernährung, zu verbieten. Dabei muss man die einzelnen Maßnahmen konkret benennen.« Durch die Verwendung eines aktuellen, von Experten verfassten Formulars könne man sicher sein, dass die Wünsche dann auch von Ärzten und Juristen anerkannt werden. »Der Verweis des Bundesgerichtshofs auf das Negativattest bedeutet im Umkehrschluss nicht, dass Betreuern und Ärzten der Weg zum Gericht versperrt wäre«, betont Anwältin Unger. »Wenn es Zweifel über Anordnungen einer Patientenverfügung gibt, können Beteiligte das Gericht immer anrufen.«

Angesichts der komplexen Materie sei es auch nicht sinnvoll, eine Patientenverfügung lange Jahre im Schrank liegen zu lassen: »Durch die Rechtssprechung, aber auch durch medizinische Entwicklungen ergeben sich immer wieder neue Aspekte, die ein Nachbessern in der Formulierung der Textmuster erforderlich machen. Oft sind das Nuancen, aber sie sind eben wichtig, um Unstimmigkeiten zu vermeiden«, erläutert Tanja Unger. Daher solle man sie wenigstens alle zwei Jahre überprüfen und neu unterschreiben, nötigenfalls aber auch die Formulierungen präzisieren. Rechtsanwältin Unger verweist in diesem Kontext auf die Patientenverfügung des bayerischen Justizministeriums, die von einem Gremium aus Juristen und Medizinern laufend aktualisiert wird und als Broschüre mit umfangreichen Erläuterungen auch gratis erhältlich ist.

Die bayerische Broschüre »Vorsorge für Unfall, Krankheit, Alter« ist als Download gratis über www.bestellen.bayern.de unter dem Menüpunkt »Justiz« erhältlich oder kann gedruckt im Buchhandel unter der ISBN-Nummer 978-3-406-71787-1 zum Preis von 5,50 Euro bestellt werden.


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