01.10.2019

Guter Rat

In Würde sterben


Debatte Während die Bevölkerung mehrheitlich für ein selbstbestimmtes Sterben plädiert, stellt der Staat Hilfeleistung unter Strafe. Nun entscheidet das Bundesverfassungsgericht

 

Seit Ende 2015 gibt es im Strafgesetzbuch einen Paragrafen, der sterbewillige Patienten, ihre Ärzte und sogar das Pflegepersonal auf Palliativstationen und in Hospizen in Nöte bringt.

»Wer in der Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern, diesem hierzu geschäftsmäßig die Gelegenheit gewährt, verschafft oder vermittelt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft« lautet § 217 Abs. 1 des Strafgesetzbuchs.

Sie haben es gemerkt: Es geht um das heikle Thema, das der Volksmund gern fälschlicherweise unter dem Begriff »Sterbehilfe« einordnet. In Fachkreisen wird eher von Suizid- oder Freitodbegleitung gesprochen, die sich auf Beratung, Hilfe bei der Organisation des Vorhabens, zum Beispiel durch das Verschaffen einer tödlichen Dosis, und auf die passive Überwachung des Akts der Selbsttötung beschränkt.

 

Ihr ausschließliches Ziel ist es, den Sterbewilligen in der Umsetzung ihres Vorhabens Sicherheit zu bieten – jedoch ohne dabei einzugreifen. Dass § 217 StGB nun seit fast vier Jahren solchen früher straflosen Unterstützungsleistungen einen Riegel vorschiebt, greift allerdings auch tief in die Persönlichkeitsrechte der sterbewilligen Patienten ein, denn ihnen bleiben seither nur riskante oder auch sehr aufwendige Auswege, wenn sie ihr Leben beenden wollen.

 

Karlsruhe muss entscheiden

 

Das Verbot der professionellen Suizidbegleitung resultierte aus der Sorge, dass diese zu einem dauerpräsenten »Dienstleistungsangebot der gesundheitlichen Versorgung« werden könnte, mit dem auch gesunde, ältere Menschen »verleitet oder gar direkt oder indirekt gedrängt« werden könnten, ihrem Leben ein Ende zu setzen (Bundestags-Drucksache 18/5373). Die Gesetzgebungsinitiative richtete sich gegen die sogenannten Sterbehilfevereine, die ihren Mitgliedern bei Bedarf den Kontakt zu Ärzten verschafften, die bereit waren, eine tödliche Dosis eines Medikaments zu verordnen und nötigenfalls Hilfestellung bei der Einnahme zu leisten.

 

Unklarer Rahmen Die ursprüngliche Absicht, den im Einzelfall aus selbstlosen Motiven gegenüber seinen Patienten handelnden Hausarzt von der Regelung auszunehmen, ist jedoch nicht gelungen: Durch das Verbot des »geschäftsmäßigen« Förderns, was in juristischem Sinn bereits gegeben wäre, wenn ein »einmaliges« Fördern ein zweites Mal vorkommen könnte, sind auch die Hausärzte meist nicht mehr bereit, sich dem Risiko der Strafbarkeit auszusetzen, indem sie ihren Patienten Lösungen aufzeigen oder gar die Medikamente dazu verschaffen.

 

Recht auf Selbstmord Weil das Verbot aber in seiner mittelbaren Auswirkung letztlich in die per Artikel 2 Grundgesetz verbrieften Persönlichkeitsrechte der sterbewilligen Patienten eingreift, indem es das Recht auf einen schmerzlosen Suizid abschneidet, entscheidet der Zweite Senat das Bundesverfassungsgerichts derzeit über mehrere Verfassungsbeschwer-den, die von Sterbehilfeorganisationen, Ärzten und betroffenen Patienten eingereicht wurden. Die zweitägige Verhandlung fand bereits Mitte April statt, das Urteil darüber, ob
§217 verfassungsgemäß ist, wird für Ende 2019 erwartet.

 

Änderungen wahrscheinlich

 

In Expertenkreisen sorgten die »Schwachstellen« in § 217 StGB bereits von Anfang an für Diskussionen, denn hinsichtlich der Rechte der Patienten gilt er als zu restriktiv. »Die Brisanz des Paragrafen 217 liegt aber nicht nur in der Missachtung dieser Persönlichkeitsrechte, sondern auch darin, dass er Hausärzte und Palliativmediziner schon in ihrer pflichtgemäßen Arbeit nahezu kriminalisiert«, erklärt Tanja Unger, Fachanwältin für Medizinrecht in der Münchner Kanzlei Putz Sessel Steldinger (www.putz- medizinrecht.de).  So stehe der Begriff des strafbaren Förderns  der Selbsttötung schon abstrakt im Raum, wenn Ärzte nur aufklären.  »Wenn der Arzt einem schwer kranken Patienten, der vielleicht sogar schon einmal über Suizid gesprochen hat, ein Mittel gibt, das dieser bei Bedarf nehmen kann, wenn die Schmerzen zu stark werden, dann muss er ihn zugleich auch darüber aufklären, ab welcher Dosis dieses Mittel tödlich wirken würde. Dieser unverzichtbare Hinweis kann schon als ein verbotenes Fördern aufgefasst werden«, erklärt Anwältin Unger.

 

Zynische Debatte Selbst beim Sterbefasten, das eine eindeutige Suizidhandlung darstellt, begebe sich das medizinische Personal auf den schmalen Grad des Förderns, wenn es z.B. die Krämpfe lindere, die beim völligen Verzicht auf Flüssigkeit und Nahrung oft auftreten.  »Die Linderung solcher Symptome ist der Kern der Palliativversorgung. Dies unter Strafe zu stellen, weil das Lindern den Patienten davon abhalten könnte, diesen Versuch der Selbsttötung abzubrechen, ist schon sehr zynisch«, merkt Tanja Unger an. Hinsichtlich des anstehenden Urteils aus Karlsruhe ist sie vorsichtig optimistisch. »Ich habe während der zwei Verhandlungstage den Eindruck gewonnen, dass der Senat erhebliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der derzeitigen Fassung des §217 StGB hat.« Der Paragraf wird in dieser Form wahrscheinlich nicht bestehen bleiben; der Ausgang der Verfahren insgesamt ist aber offen. »Spannend ist die Frage, ob das Bundesverfassungsgericht nicht möglicherweise sogar Vorgaben für eine geregelte Verfahrensweise bei der Freitodassistenz entwickelt und damit ­einen legitimen Weg aufzeigt. Anschließend wären dann noch weitere Fragen zu klären; zum Beispiel fordern Psychologen und Psychiater verbindliche Kriterien zur Beurteilung der Freiverantwortlichkeit«, erklärt Rechtsanwältin Unger.

 

Sterbetourismus geht weiter

 

Eine schnelle Lösung zugunsten der Patienten ist aber selbst bei einem »positiven« Ausgang im Sinne der Verfassungsbeschwerden nicht in Sicht. Dann wäre zunächst der Gesetzgeber gefordert, die Vorgaben aus Karlsruhe umzusetzen, was durchaus neue, aus Patientensicht zeitraubende Debatten entfachen könnte. So wird es auf absehbare Zeit dabei bleiben, dass deutschen Patienten mit Sterbewunsch erst einmal nur eine Reise in die Schweiz als Ausweg bleibt.

 

Info:

 

Urteil 2017 entschied das Bundesverwaltungsgericht, dass der Erwerb eines Betäubungsmittels zur Selbsttötung mit dem Betäubungsmittelgesetz ausnahmsweise vereinbar ist, wenn sich der suizidwillige Erwerber wegen einer schweren und unheilbaren Erkrankung in einer extremen Notlage befindet.

 

Voraussetzungen Diese Notlage ist laut Urteil dann gegeben, wenn die Erkrankung mit gravierenden körperlichen
Leiden, insbesondere starken Schmerzen verbunden ist, die zu einem unerträglichen Leidensdruck führen und nicht ausreichend gelindert werden können. Darüber hinaus sei es erforderlich, dass der Betroffene entscheidungsfähig ist und sich frei und ernsthaft entschieden hat, sein Leben beenden zu wollen. Als drittes Kriterium kommt hinzu, dass eine andere zumutbare Möglichkeit zur Verwirklichung des Sterbe-wunschs nicht zur Verfügung steht  (BVerwG, Az. 3 C 19.15).

 

Hintergrund Die mittlerweile verstorbene Ehefrau des Klägers hatte 2005 beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) um eine Ausnahmegenehmigung gebeten, eine tödliche Dosis Pentobarbital kaufen zu können. Der damalige ablehnende Bescheid der Behörde wurde durch das Urteil als rechtswidrig eingestuft, weil das Verbot einer Erwerbserlaubnis in das allgemeine Persönlichkeitsrecht jener schwer und unheilbar Erkrankten eingreift, die ihrem Leiden selbstbestimmt ein Ende setzen wollen.

 

Gegenkurs Die Verwaltung ignoriert dieses Urteil; laut bestätigten BfArM-Interna aufgrund einer Weisung aus dem Bundesgesundheitsministerium, nach welcher der Staat nicht zum Suizidhelfer werden dürfe. Offiziell werden zu jedem Antrag weiter Einzelfallprüfungen durchgeführt, die jedoch bislang allesamt zu abschlägigen Bescheiden führen.

 

Freie Entscheidung Patienten haben das Recht, die Zustimmung zu medizinischen Maßnahmen zu verweigern. Die Ärzte dürfen daher nichts gegen den Willen eines entscheidungsfähigen Patienten veranlassen – dies wäre als Körper-verletzung strafbar.

 

Patientenverfügung  Entsprechend gilt seit 2009, dass jede einsichtsfähige Person eine Patientenverfügung erstellen kann, mit der sie für den Fall der Nicht-Einwilligungsfähigkeit situationsgebundene Festlegungen trifft, welche Behandlungen dann unterbleiben sollen oder gewünscht sind. Dies betrifft insbesondere das Verbot lebens-
erhaltender Maßnahmen wie maschinelle Be-atmung oder Sonden-ernährung, deren Unterbleiben den Sterbe-prozess einleiten oder verkürzen kann.

 

Bindungswirkung Die in der Patientenverfügung getroffenen Festlegungen sind bindend; die Betreuer haben dem Patientenwillen »Ausdruck und Geltung zu verschaffen« (§ 1901a BGB). Ein so veranlasster Behandlungsabbruch (»passive Sterbehilfe«) bleibt für die Ärzte straflos. Eine gerichtliche Genehmigung des Behandlungsabbruchs ist bei einer hinreichend klar formulierten Patientenverfügung nicht erforderlich (BGH Az. XII ZB 107/18).

 

Hilfe beim Suizid Die Unterstützung beim Selbstmord ist straflos; ebenso wie der Akt der Selbst-tötung an sich. Wird die Unterstützung allerdings »geschäftsmäßig« geboten, ist dies strafbar (§ 217 Abs. 1. StGB).  Angehörige und nahestehende Personen werden davon ausgenommen, auch wenn sie geschäftsmäßiges Handeln unterstützen, indem sie Sterbewillige in die Schweiz fahren (s.u.).

Wirkung Aufgrund der Einführung von § 217 hat der Verein »Sterbehilfe Deutschland« die Suizidassistenz eingestellt; bleibt aber als Verein bestehen. Der Verein hat Verfassungsbeschwerde gegen § 217 eingelegt.

 

Möglichkeiten In Deutschland bleibt Patienten nur die Möglichkeit des Behandlungsabbruchs mit palliativer, also schmerz-lindernder Begleitung.

 

Sterbetourismus In der Schweiz ist die Suizidbegleitung legal; die Vereine Dignitas, Exit und Life Circle bieten die Sterbebegleitung dort auch für ausländische Mitglieder an, in deren Ländern ein Verbot besteht. Die Gesamtkosten betragen im Einzelfall etwa einen fünfstelligen Eurobetrag.

 


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