01.12.2017

Bayerisches Ärzteblatt

Hungern bis der Tod kommt?


„Der Mensch lebt nicht vom Brot allein“ (Matthäus 4,4) – auf diesem biblischen Hinweis, dass wir nicht von Nahrung allein lebten, bezog sich Frank Kittelberger, Studienleiter für Ethik in Medizin und Gesundheitswesen, Pastoralpsychologie und Spiritual Care der Evangelischen Akademie Tutzing, bei der Eröffnung des Medizin-Theologie-Symposiums „Hungern bis der Tod kommt?“, das vom 27. bis 29. Oktober 2017 in der Evangelischen Akademie am Starnberger See stattfand. Das könnte im Umkehrschluss heißen, so Kittelberger, „dass wir auch nicht allein am Mangel von Nahrung sterben“. Um die Implikationen einer solchen Schlussfolgerung drehten sich letztlich die Diskussionen und Positionen in der Debatte um das Sterbefasten bzw. den freiwilligen Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit (FVNF). Besonders lebhaft sei diese Diskussion, weil sie medizinisch-pflegerische und sozial-psychologische Fragen ebenso berühre, wie juristische, sozialpolitische und moralische Positionen.

Perspektivenwechsel
Dr. Max Kaplan, Präsident der Bayerischen Landesärztekammer (BLÄK), spannte in seinem Impulsreferat „Ärztliche Sterbebegleitung – Rolle, Aufgaben und ethische Grenzen für den Arzt“ den Bogen von den Vorgaben der Berufsordnung bis hin zu exemplarischen Kasuistiken aus der Patientenversorgung. Kaplan stellte fest, dass das Thema Sterben und Tod mittlerweile in der Gesellschaft angekommen sei. Auch der Gesetzgeber habe reagiert, mit dem dritten Betreuungsrechtsänderungsgesetz 2009 (Patientenverfügung), dem Hospiz- und Palliativgesetz 2015 und dem Gesetz zur geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung § 217 Strafgesetzbuch (StGB). Ganz aktuell hat das Bundesverwaltungsgericht mit seinem Urteil vom März 2017 erneut zur Diskussion beigetragen. Eine Studie zeige, dass beim Sterben „Wirklichkeit und Wunsch auseinander klaffen“, denn die Mehrheit der Menschen in Deutschland (60 Prozent) wollten zu Hause sterben und nicht im Krankenhaus oder im Pflegeheim. Tatsache sei jedoch, dass 46 Prozent im Krankenhaus und 21 Prozent im Pflegeheim sterben. „Bei vielen Menschen geht der Wunsch nach dem Wo und Wie des Sterbens nicht in Erfüllung“, so Kaplan. Der Präsident erläuterte die Verantwortung des Arztes, der sich hierbei an Regeln und Grundsätze zu halten und dabei auf die Patientenautonomie zu achten habe. „Wie weit geht diese Autonomie und befindet sich nicht auch die Gesellschaft in einem Spannungsfeld zwischen Fürsorge und Patientenautonomie“, fragte Kaplan. Der Präsident verwies auf den „Hippokratischen Eid“, welcher als Genfer Gelöbnis, soeben durch die Generalversammlung des Weltärztebundes (World Medical Association – WMA) überarbeitet wurde mit stärkerer Berücksichtigung der Patientenautonomie, auf die Muster-Berufsordnung und die Berufsordnung für die Ärzte Bayerns, auf die Grundsätze zur ärztlichen Sterbebegleitung sowie auf die Charta zur Betreuung schwerstkranker und sterbender Menschen in Deutschland (Leitsätze). „Jeder Mensch hat ein Recht auf ein Sterben unter würdigen Bedingungen“, zitierte der Präsident, woraus sich gesellschaftspolitische Herausforderungen – Ethik, Recht und öffentliche Kommunikation, Bedürfnisse der Sterbenden – Anforderungen an die Versorgungsstrukturen, Anforderungen an die Aus-, Weiter- und Fortbildung von Ärzten und Pflegenden, Entwicklungsperspektiven und Forschung sowie eine europäische und internationale Dimension ergäben. Kaplan machte deutlich, dass nach den im Jahr 2011 überarbeiteten Grundsätzen zur ärztlichen Sterbebegleitung, die ärztliche Verpflichtung zur Lebenserhaltung nicht unter allen Umständen bestehe. Unter dem Aspekt Perspektivenwechsel ging Kaplan auf Situationen ein, in denen sonst angemessene Diagnostik und Therapieverfahren nicht mehr angezeigt seien. Dann trete eine palliativmedizinische Versorgung in den Vordergrund. Es gelte eine Basisbetreuung sicherzustellen, wobei Art und Ausmaß einer Behandlung vom Arzt zu verantworten seien. Unter „Hilfe beim Sterben, nicht Hilfe zum Sterben“ subsumierte Kaplan: Ein offensichtlicher Sterbevorgang sollte nicht durch lebenserhaltende Therapien künstlich in die Länge gezogen werden. Die Tötung des Patienten hingegen sei strafbar, auch wenn sie auf Verlangen des Patienten erfolge. Die Mitwirkung des Arztes bei der Selbsttötung sei keine ärztliche Aufgabe. Besonderes Augenmerk legte der Präsident auf die Patientenverfügung und zeigte auf, was sie beinhalten sollte, beispielsweise für welche Situationen diese Verfügung gelte, welche Therapien der Patient verlange und welche er ablehne und ob ein Organspendeausweis vorliege. Schließlich sprach Kaplan Sterbebegleitung aus hausärztlicher Sicht an. Anhand von konkreten Kasuistiken zeigte Kaplan, der selbst 30 Jahre als Landarzt niedergelassen war, sowohl den „Regelfall“ als auch den „besonderen Fall“, wie den krebskranken Patienten oder das „Sterbefasten“ auf.

Sterbefasten
„Sterbefasten aus rechtlicher Sicht“ titelte der Vortrag von Wolfgang Putz, Rechtsanwalt und Lehrbeauftragter an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Putz machte dem Auditorium die Bedeutung des neuen § 217 StGB deutlich: Geschäftsmäßige Förderung liege vor, sobald ein Arzt Beistand oder Beratung gewähre oder dies nur verspreche. Sterbefasten sei Suizid – der ärztliche Beistand dazu unterliege § 217. Er gliederte die „Beteiligung am Suizid“ in drei Phasen aus strafrechtlicher Sicht: „1. Beihilfe zur Vorbereitung der Selbsttötung. 2. Nicht hindern (Selbsttötung sei die Tötung des Suizidenten durch den Suizidenten) und 3. Nicht retten.“ Interessant war die Frage: „Ist das Aufhören zu essen und zu trinken eine ,Selbsttötung‘ im Sinn des § 217 StGB?“. Der Münchner Rechtsanwalt ging zuerst auf das natürliche Nachlassen von Hunger, Durst und Aufnahme von Flüssigkeit und Nahrung infolge der Erkrankung (schon begrifflich kein „Fasten“) ein und sagte wörtlich: „Das ist keine Selbsttötung im Sinne des § 217 StGB.“ Gezieltes Handeln gegen das Leben, um unabhängig von der Erkrankung früher und ohne Erleben der Spätsymptome der Erkrankung zu sterben (FVNF/“Sterbefasten“) sei dagegen eine Selbsttötung im Sinne des § 217 StGB. Es gebe viele Fallgestaltungen, aber auch Probleme der Abgrenzung bezüglich des Bestimmtheitsgebots. Eine freiverantwortliche Selbsttötung sei ein Grundrecht, deshalb sei der § 217 StGB letztlich ein Verstoß gegen das Grundgesetz. Die aktuelle Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, nach der ein unheilbar Kranker in extremen Ausnahmefällen Anspruch auf eine Substanz zur Selbsttötung erhalten könne, sieht Putz als unvereinbar mit § 217 StGB und damit als „Stichelei gegenüber dem Gesetzgeber“. Der Arzt habe keine „Garantenpflicht für das Leben, sondern für den Patientenwillen“ und eine illegale Suizidhilfe sei „beim Arzt immer Tötung durch Unterlassung, nicht nur unterlassene Hilfeleistung“, so Putz‘ Darstellung der Rechtslage. Der zweite Absatz des § 217 StGB stellt Angehörige und nahestehende Personen straffrei, wenn sie zum Beispiel den Suizidenten zum Sterbehelfer in die Schweiz fahren. Hilft der Arzt hingegen unmittelbar einem Patienten in Deutschland beim Suizid oder Sterbefasten, macht er sich grundsätzlich nach § 217 StGB strafbar. Darüber diskutierten über 20 Referentinnen und Referenten aus Politik, Recht, Kirche und dem Gesundheitswesen mit Betroffenen, Begleiterinnen und Begleitern sowie Angehörigen und Interessierten. Ein Indiz für das wachsame Interesse an diesem heiklen Thema zeigte die Teilnehmerzahl, war doch das Symposium mit über 180 Teilnehmerinnen und Teilnehmern ausgebucht. Das ganze Programm findet sich online unter www.ev-akademie-tutzing.de/ veranstaltungsarchiv
Dagmar Nedbal (BLÄK)


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