01.04.2021

Altenheim 4/2021

Grundrecht auf selbstbestimmtes Sterben. Interview


PANORAMA
Interview zum Thema Palliativversorgung und Regeln für den assistierten Suizid
„Grundrecht auf selbstbestimmtes Sterben“

„Eine offene Kommunikation ist das Mindeste.“

Tanja Unger, Rechtsanwältin,
Fachanwältin für Medizinrecht,
www.putz-medizinrecht.de

Das Bundesverfassungsgericht hatte mit seinem wegweisenden Urteil vom 26.2.2020 den Auftrag an den Gesetzgeber formuliert, Regeln für den assistierten Suizid zu entwickeln. Inzwischen liegen Entwürfe von Bundestagsabgeordneten vor.

Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) hat am 15.2.2021 gesagt, dass es vorerst keinen eigenen Vorschlag vorlegen wolle. Hätte das BMG nicht längst aktiv werden müssen?

TANJA UNGER: Verfassungsrechtlich können Gesetzesvorschläge von den Ländern, von der Bundesregierung oder aus der Mitte des Bundestags kommen. Minister Spahn ist also berechtigt, aber nicht verpflichtet, einen Gesetzentwurf vorzulegen. Ob es politisch opportun ist, nach der Pleite mit dem Paragraf 217 StGB, den sein Vorgänger propagiert hatte, tatenlos zu bleiben, ist eine andere Frage. Auch ist festzuhalten, dass seit dem Urteil des Verfassungsgerichts kein rechtsfreier Raum im Bereich der Suizidbeihilfe entstanden ist. Beihilfe zum Suizid darf, wie schon bis zum Jahr 2015, nur geleistet werden, wenn der Suizidwillige seinen Entschluss freiverantwortlich, wohlerwogen und ernstlich getroffen hat. Andernfalls stellt die Beihilfe rechtlich eine mit hoher Freiheitsstrafe bedrohte Tötung in mittelbarer Täterschaft dar und kann entsprechend von den Staatsanwaltschaften verfolgt werden. Der nicht freiverantwortliche Suizident handelt dann quasi als „willenloses Werkzeug“ gegen sich selbst und muss vor sich selbst geschützt werden. Insofern hat auch das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber lediglich die Möglichkeit einer Neuregelung unter Achtung der Grundrechte der Betroffenen und des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit eingeräumt.

Die Begründung der Ablehnung vom BfARM ist immer die gleiche

In Medienberichten heißt es, dass Anträge von schwerstkranken suizidwilligen Betroffenen an das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfARM), mit der Bitte um die Genehmigung einer Dosis des Betäubungsmittels Natrium-Pentobarbital, immer abgelehnt werden – weil die Behörde vom BMG quasi aufgefordert wurde, derlei Anträge grundsätzlich abzulehnen. Ist dieses Vorgehen rechtens?

UNGER: Es gibt einen entsprechenden Brief aus dem Bundesgesundheitsministerium, nicht vom Minister persönlich, sondern von einem hohen Staatssekretär unterschrieben. Der Brief ist gerichtet an das BfARM und nach der offiziellen Anrede, handschriftlich mit „Lieber …..“ ergänzt. Es wird darin die Haltung des Ministeriums bekräftigt, dass der Staat niemals ein tödlich wirkendes Medikament zur Verfügung stellen sollte. Der Brief endet in einer Bitte, den Anträgen nicht nachzukommen. Eine Vorgabe oder offizielle Anweisung ist es pro forma also nicht. De facto ist es aber natürlich eine Aufforderung, ein Urteil eines obersten Bundesgerichts zu missachten, was ein grober Verfassungsverstoß ist.
Inzwischen laufen die Prüfverfahren pro forma. Offensichtlich hat das BfARM selbst erkannt, dass es nicht einfach die Anträge unberücksichtigt lassen kann. Soweit mir persönlich bekannt, werden die Antragsteller aufgefordert, Unterlagen vorzulegen. Die Begründung der Ablehnung ist dann immer die gleiche, dass die Unterlagen nicht für die
Feststellung eines freien Suizidwillens ausreichen würden.

Wie können Heime derzeit in der Palliativversorgung rechtssicher handeln?

UNGER: Im Hinblick auf die anderen Formen von Sterbehilfe hat sich durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts nichts geändert. So ist z. B. ein Behandlungsabbruch lebensverlängernder Maßnahmen gemäß Indikation und/oder Patientenwille selbstredend weiterhin zulässig und geboten. Nichts anderes gilt auch für die indirekte aktive Sterbehilfe, also eine zumindest in Kauf genommene Lebenszeitverkürzung im Rahmen und zum Zweck einer effektiven Leidenslinderung.

Was kann bzw. soll die Heimleitung tun, wenn ein schwerstkranker Bewohner selbstbestimmt entschieden hat, seinem Leben ein Ende zu setzen und das Heim um Hilfe dabei bittet? Wie ist hier die rechtliche Lage?

UNGER: Im Hinblick auf den Umgang mit Suizidwünschen von Heimbewohnern ist zunächst zu beachten, dass diese ihr Grundrecht auf selbstbestimmtes Sterben nicht an der Eingangspforte des Heims ablegen. Es darf, muss aber nicht, einem freiverantwortlichen Suizidwilligen Hilfe geleistet werden. Dies gilt sowohl für den passiven Suizid, wie dem freiwilligen Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit, als auch für aktive Formen, z. B. die Einnahme eines todbringenden Medikaments. Hier sind ärztlicherseits ergänzend die Vorgaben des Betäubungsmittelrechts, das aktuell noch den Einsatz von Natrium-Pentobarbital in Deutschland verbietet, zu beachten. Eine offene Kommunikation ist aus meiner Sicht das Mindeste. Einem einzelnen Bewohner, der von Dritten angebotenen Hilfe in Anspruch nehmen möchte oder sich hierüber informieren möchte, mit Repressalien zu drohen, kann im Lichte unserer Verfassung nicht der richtige Weg sein. Sollte es tatsächlich so weit kommen, dass Vertreter von Sterbehilfeorganisation auf eigene Initiative an Heimtüren klingeln, um bei Bewohnern Werbung zu machen, kann dies aber selbstverständlich im Rahmen des Hausrechts untersagt werden.

Interview: Susanne El-Nawab


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