28.09.2020

Finanztest Spezial Patientenverfügung 2020

Das Recht auf selbstbestimmtes Sterben


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Expertengespräch
Rechtsanwältin Tanja Unger über das Recht auf selbstbestimmtes Sterben.

Frau Unger, Sie haben Ärzte vor dem Bundesverfassungsgericht vertreten. Worum ging es ihnen?

Geklagt hatten engagierte Palliativmediziner, die ihre Patienten bis zum Schluss bestmöglich betreuen wollen. Sie wollten sich nicht mittels einer Strafnorm – dem Paragrafen 217 Strafgesetzbuch – verbieten lassen, bei einem schwerstkranken Patienten als letzte Option auch professionelle Hilfe bei dessen Selbsttötung zu leisten. Außerdem hatte die Strafnorm das vertrauensvolle Arzt-Patienten-Verhältnis belastet. Offene Gespräche über Suizidgedanken ihrer Patienten sollten wieder gefahrlos möglich sein. Nur wenn der Patient sich dem Arzt anvertraut, kann dieser ihm Alternativen aufzeigen und ihn so im besten Fall von seinem Suizidentschluss abbringen.

Unter welchen Voraussetzungen ist Beihilfe zum Suizid straffrei?

Eine Beihilfe zum Suizid ist nur straffrei, wenn der Betroffene den Entschluss frei verantwortlich, wohlerwogen und ernstlich gefasst hat. Nur dann handelt es sich um den vom Grundgesetz geschützten Ausdruck seines Selbstbestimmungsrechts. „Wohlerwogen“ bedeutet, dass der Suizidwillige vorab über soziale und medizinische Alternativen wie Onkologie, Psychotherapie oder Palliativmedizin informiert wurde. Der Suizidwillige muss frei von krankhafter psychischer Störung und ohne Druck von Dritten den Entschluss gefasst haben. Bei Nichtvorliegen der Kriterien droht dem Helfer eine Bestrafung wegen fahrlässiger oder vorsätzlicher Tötung bis zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe.

Kritiker argumentieren, eine geregelte Suizidhilfe könne alte und kranke Menschen unter Druck setzen. Wie sehen Sie das?

Die Gefahr sehe ich nicht bei ärztlicher Suizidassistenz. Ein Arzt ist sich stets seiner hohen Verantwortung für das Leben seines Patienten bewusst und wird streng nach seinem Gewissen prüfen, ob er dem schwer erkrankten Patienten seinen Wunsch nach Suizidhilfe erfüllen kann. Die Entscheidung für ein selbstbestimmtes Sterben unter Zuhilfenahme Dritter sollte kein gesellschaftliches Tabu sein. Dieses Recht darf durch ein strafrechtliches Verbot nicht unmöglich gemacht werden, „nur“ um nicht den Anschein einer Normalität aufkommen zu lassen. Offene Gespräche über die Ängste und Sorgen der Betroffenen und gegebenenfalls die Zusage, ihnen im Ernstfall bei der Umsetzung der Entscheidung zur Seite zu stehen – wenn sie für sich wirklich keinen anderen Weg mehr sehen –, ist der beste Weg, Druck zu verhindern und übereilte Entscheidungen zu vermeiden.

Was bedeutet das Urteil für Ärzte und Pflegepersonal in Heimen?

Zunächst bedeutet es Rechtssicherheit für Ärzte und Pflegeeinrichtungen mit ihrem Personal. Eine Unterstützung eines frei verantwortlichen Suizids ist straffrei. Dabei ist es irrelevant, ob der Suizid aktiv, etwa durch die Einnahme eines bereitgestellten Medikaments, oder passiv, durch den – gerade in Heimen und Hospizen immer wieder vorkommenden – freiwilligen Verzicht auf Essen und Trinken geschehen soll. Es ist jedoch wichtig, dass nach wie vor niemand, auch kein Arzt oder Pfleger verpflichtet ist, Suizidhilfe zu leisten. Es gibt also keinen Rechtsanspruch auf Suizidhilfe, weder gegenüber dem Staat noch gegenüber Dritten.

Tanja Unger, Fachanwältin für Medizinrecht aus München, hat mehrere Ärzte vor dem Bundes-verfassungsgericht vertreten.
„Das Urteil bedeutet mehr Rechtssicherheit für Ärzte und Pflegepersonal“


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