Medizinjurist über Rechte kranker Menschen
„Der Feind einer Patientenverfügung lauert oft in der eigenen Familie“
Wer schwer krank ist, kann selbst darüber entscheiden, ob und wie er behandelt werden möchte. Am besten tut man das lange vor dem Ernstfall. Anwalt Wolfgang Putz sagt, wie eine Patientenverfügung formuliert sein sollte.
Ein Interview von Katrin Wilkens
18.01.2025,18.49 Uhr
SPIEGEL: Herr Putz, Sie sind Anwalt für Medizinrecht. Welche Fehler begegnen Ihnen bei Patientenverfügungen immer wieder?
Putz: Oft werden schwurbelige Formulierungen gewählt wie „nicht lebenswertes Leben“. Was lebenswert ist und was nicht, dürfen weder die Ärzteschaft noch der Staat definieren.
Welche Leidenszustände also für den einzelnen Patienten lebenswert oder nicht mehr lebenswert sind, muss sich aus der Patientenverfügung ergeben. Des Weiteren werden
Konsequenzen oft nicht konkret genug beschrieben. Gut ist, wenn man beispielsweise schreibt: „Wenn ich mich dauerhaft und unumkehrbar wegen Verlusts meiner kognitiven
Fähigkeiten zur Behandlung meiner Erkrankung nicht mehr äußern kann, dann verbiete ich lebens- und leidensverlängernde Maßnahmen und wünsche mir nur noch
eine palliative Unterstützung im Sterbeprozess.“
SPIEGEL: Warum setzen sich Ärztinnen und Ärzte in einigen Fällen über den formulierten willen der Patienten hinweg?
Putz: Viele Ärzte argumentieren, die Patientenverfügung sei ihnen zu allgemein formuliert. Dabei kann niemand alle möglichen medizinischen Situationen benennen und dazu
jeweils die Behandlungswünsche und -verbote festlegen. Deshalb ist noch ein Passus wichtig: „Alle nicht konkret genannten Situationen sollen im Sinne meiner Verfügung und
meiner darin geäußerten Werte von meinem Bevollmächtigten durchgesetzt werden.“
SPIEGEL: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in einem Urteil vom 17. September 2O24 entschieden, dass der Patientenwille bindend ist.
Putz: Dieses Urteil ist tatsächlich eine Sensation, eine Zeitenwende für die Patientenrechte am Lebensende. weil sich künftig jeder Patient, jeder Angehörige darauf berufen
kann. Viele Arztinnen und Arzte werden leider nur unter dem Damoklesschwert solcher Rechtsfolgen zähneknirschend den Patientenwillen beachten.
SPIEGEL: Gibt es Fälle, in denen eine Patientenverfügung nichts bringt?
Putz: Ja, zum Beispiel bei allen akuten, schweren Gesundheitsschäden mit anfänglich offener Verlaufsprognose.
SPIEGEL: Wie kann ich zu gesunden Lebzeiten verhindern, dass mein Wille im Falle des Falles nicht gehört wird. Hilft es, wenn ich den Hausarzt hinzuziehe?
Putz: Es hilft immer, wenn in der Patientenverfügung steht: „…habe ich mich ausführlich beraten lassen von Dr.XY, Datum, Stempel, Unterschrift“. Manchmal sind das auch nur
taktische Vorteile. wenn später ärztliche Entscheidungen in der Klinik oder im Pflegeheim getroffen werden müssen, telefoniert es sich mit einem „neutralen Kollegen“ leichter.
SPIEGEL: Gibt es Unterschiede zwischen den einzelnen Bundesländern, wie mein Patientenwille interpretiert wird? Stirbt es sich in Hamburg leichter als in Bayern?
Putz: In Bayern wird nach meiner bundesweiten Erfahrung ein Sterben nach dem Patientenwillen tendenziell eher zugelassen, wohl weil von hier vor mehr als 50 Jahren die
Hospizbewegung ihre Ausbreitung begann. Manchmal sind Ärztinnen oder Ärzte in anonymen Großstädten viel rigider im Verhindern eines Patientenwillens, während die
ordensgeleiteten Krankenhäuser im Süden gern mal sagen: „Aber wenn er doch jetzt zum Herrgott will…“
SPIEGEL: Was kann man tun, wenn es heißt, eine Patientenverfügung sei nicht auffindbar? Muss man sie vorher noch einmal fotografieren – oder bringt das nichts?
Putz: Der Feind einer Patientenverfügung lauert oft in der eigenen Familie. Da gibt es emotionalen Druck: „Willst du Mutter verhungern lassen? Der Pastor sagt doch auch, dass…“
Mitunter werden Familienmitglieder kriminell, indem sie einfach eine Verfügung unterschlagen, also beim behandelnden Arzt nicht vorzeigen. Eine Fotografie kann man leicht manipulieren, besser ist es, eine zweite Ausfertigung zu haben oder das Original zu kopieren und dann noch mal mit „Das ist mein Wille, Datum, Unterschrift“ zu versehen und an einem sicheren Ort mit Zugang
für „sichere“ Dritte aufzubewahren, oder einen Kontrollbevollmächtigten für solche Fälle zu ermächtigen.
SPIEGEL: Gibt es eine unterschiedliche Auslegung von Verfügungen abhängig vom Geschlecht?
Putz: Das ist eine interessante Frage, zu der mir keine wissenschaftlichen Erhebungen bekannt sind. Dagegen kennt man etwa ein sogenanntes Nord-Süd-Gefälle oder den
Unterschied zwischen christlichen und nicht christlichen Einrichtungen, und ich erlebe, dass weibliche Entscheidungen per se weniger respektiert werden als männliche. Aber ob das
Auswirkungen auf die Patientenverfügung hat, weiß ich nicht. Was ich aber weiß: dass Frauen bei diesem Thema oft die treibenden Kräfte sind. Männer drücken sich vor Entscheidungen, wenn es um existenzielle Fragen geht.