Streit mit dem Arzt – diese Rechte haben Sie

Kunstfehler, falsche Abrechnung, fehlende Infos über Risiken: Das rät die Medizinrechtlerin

Von SUSANNE SASSE
München – Kunstfehler, fehlerhafte Aufklärung, eine schlecht sitzende Hüftendoprothese und eine viel teurere Leistung als im Kostenvoranschlag angekündigt – immer wieder sind Patienten mit ihrem Arzt nicht zufrieden. Welche Rechte haben Patienten? Wir sprachen mit der Münchner Fachanwältin für Medizinrecht Beate Steldinger. Sie erklärt, wie Patienten vorgehen sollten, wenn es Probleme gibt:

Hohe Dunkelziffer bei Behandlungsfehlern

Wenn etwas schiefgeht beim Arzt, wird es gefährlich. 3700 Mal befanden Gutachter der Medizinischen Dienste im vergangenen Jahr, dass ein Behandlungsfehler vorliegt. 87 Patienten starben im Jahr 2019 in Deutschland nachweislich an Ärztepfusch. Doch dies ist vermutlich nur die Spitze des Eisbergs: So schätzt das Wissenschaftliche Institut der AOK 2014, dass alleine rund 19 000 Patienten in Krankenhäusern jährlich durch vermeidbare Behandlungsfehler wie etwa mangelnde Hygiene sterben. Immer mehr Patienten wehren sich, auch dies zeigen die Zahlen: Im vergangenen Jahr veranlassten 14 000 Patienten, dass der Medizinische Dienst der Krankenkassen Gutachten erstellt. Nachgewiesen wurden Fehler dann aber nur in 25 Prozent der Gutachten.

Falsche Diagnose oder ärztlicher Kunstfehler

„Patienten muss klar sein, dass der Arzt keinen Erfolg seiner Behandlung schuldet, sondern nur eine dem fachärztlichen Standard entsprechende Behandlung“, erklärt die Fachanwältin für Medizinrecht Beate Steldinger. „In einem Arzthaftungsfall kann daher also auch nicht von einem schlechten Ergebnis zwangsläufig auf eine fehlerhafte Vorgehensweise des Arztes zurückgeschlossen werden.“ Es muss auf Basis der Behandlungsunterlagen in der Regel mithilfe eines medizinischen Sachverständigen geprüft werden, ob die Behandlung dem fachärztlichen Standard entsprach oder nicht. Dann muss geklärt werden, ob der vorliegende körperliche Schaden des Patienten auf den festgestellten Fehler ursächlich zurückzuführen ist, erklärt die Medizinrechts-Fachanwältin. Schwierig wird es bei Diagnosefehlern. Viele Patienten haben eine regelrechte Odyssee hinter sich, bis die richtige Diagnose gestellt wird. Hier gilt das Sprichwort: Im Nachhinein ist man immer schlauer! Es stellt sich aber die Frage, ob man dem ersten behandelnden Arzt dann einen Vorwurf machen kann, dass er die richtige Diagnose nicht gestellt hat. Die Rechtsprechung ist in diesem Zusammenhang eher zurückhaltend. „Wenn der Arzt alle gebotenen Befunde erhoben hat und er trotzdem zu einer im Nachhinein falschen Diagnose gelangt, so ist die Rechtsprechung sehr häufig mit ihm gnädig“, sagt Steldinger.

Umfang der Aufklärungspflicht

Vor einem medizinischen Eingriff ist der Arzt verpflichtet, den Patienten aufzuklären. Worüber, ist gesetzlich geregelt: über den Eingriff selbst, den Nutzen, mögliche Folgen und Risiken des Eingriffs und Behandlungsalternativen. Bei nicht notwendigen Eingriffen wie etwa Schönheitsoperationen ist die Aufklärungspflicht viel umfangreicher. Zu diesem Thema gibt es einige Gerichtsentscheidungen – so entschied etwa das Oberlandesgericht Hamm, dass eine Patientin vor einer Brustkorrektur hinreichend drastisch und schonungslos über Risiken wie etwa dem einer Asymmetrie aufgeklärt werden muss (Aktenzeichen: 3 U 263/05). Bei einer Fettabsaugung muss dem Patienten zuvor klargemacht werden, dass Dellen bleiben können, stellte das Oberlandesgericht Düsseldorf klar (Aktenzeichen: 8 U 18/02). In einem Prozess muss der Arzt beweisen, dass die Aufklärung vor dem Eingriff erfolgt ist. Daher verwenden Ärzte und Kliniken in der Regel vorgefertigte Formulare zur Dokumentation des Aufklärungsgesprächs

Fehler bei der Aufklärung

„Achten Sie deshalb genau darauf, dass Sie nicht einfach alles unterschreiben, ohne es zuvor genau gelesen zu haben“, erklärt die Münchner Fachanwältin für Medizinrecht Beate Steldinger. Übrigens: Schriftliche Informationen ersetzen die mündliche Beratung nicht. Der Arzt muss auch über die erforderliche Nachsorge informieren, sich Zeit nehmen, Fragen zu beantworten, und dem Patienten Zeit zum Überlegen geben. Für Patienten ist es nicht einfach, einen Aufklärungsmangel nachzuweisen. Insbesondere, wenn ein ausgefülltes und vom Patienten unterzeichnetes Aufklärungsformular vorliegt. Manchmal wird dem Patienten im Aufklärungsgespräch suggeriert, dass die Operation ein Spaziergang sei. Solche Äußerungen sind jedoch meist in einem Prozess nicht zu beweisen, da das Aufklärungsgespräch meist nur zwischen Arzt und Patient und ohne Zeugen stattfindet. Der Arzt muss den Patienten auch über die Kosten des Eingriffs aufklären, wenn unklar ist, ob die Krankenversicherung sie übernimmt.

Informationen über Impf-Nebenwirkungen

Wenn Patienten sich impfen lassen, muss der Arzt sie vorher über die Risiken von Impffolgen aufklären, ebenso über mögliche Spätfolgen, sofern welche bekannt sind. „Zudem sollten die Ärzte auch aufklären darüber, dass auch eine Impfung keinen 100-prozentigen Schutz bietet und ein geringes Restrisiko bleibt“, sagt Steldinger. Werden Minderjährige geimpft, müssen die Sorgeberechtigten zustimmen.

Schwieriges Verhältnis zum eigenen Arzt

Ist das Verhältnis zerrüttet, empfiehlt Steldinger, den Arzt zu wechseln. Auch der gesetzlich versicherte Patient hat freie Arztwahl unter den Kassenärzten. Gerade vor einem komplizierten operativen Eingriff kann der Patient eine Zweitmeinung einholen.

Anspruch auf Bilder und Unterlagen

Patienten haben das Recht, ihre Patientendaten einzusehen, sagt Steldinger. Dieses Recht ergibt sich aus Paragraf 630g BGB. Dieses Recht umfasst auch die Herausgabe von Kopien der Behandlungsunterlagen einschließlich der Bildgebung (Röntgen, MRT, CT) gegen Erstattung der Kopierkosten.

Weitergabe von Patientendaten

Patientendaten sind hochsensible Daten, die ein Arzt auf keinen Fall einfach weitergeben darf. „Ein Bruch der ärztlichen Schweigepflicht ist strafbar“, betont die Medizinrechtlerin Beate Steldinger. Möchte man seinen Arzt wechseln, so kann man seinen Arzt bitten, die Behandlungsunterlagen in Kopie an den neuen Arzt zu schicken gegen Erstattung der Kopie bzw. Portokosten. „Ziel der Dokumentation ist es unter anderem, die Weiterbehandlung durch einen übernehmenden Arzt sicherzustellen. wenn zum Beispiel ein Arzt in Ruhestand geht oder aus anderen Gründen plötzlich ausfällt“, sagt Steldinger.

Wer trägt die Kosten eines Rechtsstreits?

Wer von seinem Arzt wegen eines Aufklärungs- oder Behandlungsfehlers Schadensersatz oder Schmerzensgeld will, muss einiges beachten: Patienten sind im Streitfall in der Pflicht, von ihnen behauptete Fehler zu beweisen. Scheitert eine außergerichtliche Einigung, so bleibt nur eine gerichtliche Auseinandersetzung. Normalerweise gibt ein Gericht bei einem Streit zwischen Arzt und Patient ein Sachverständigengutachten in Auftrag, was die Auseinandersetzung sehr teuer macht. Wer eine Rechtsschutzversicherung hat, ist im Vorteil. Denn der Arzt beziehungsweise dessen Versicherung müssen nur im Fall des Unterliegens die Kosten tragen.

Ärger mit Arztrechnungen

Bei einem Kassenpatienten darf ein Kassenarzt grundsätzlich keine Leistungen privat in Rechnung stellen. Heutzutage werden von vielen Kassenärzten jedoch zusätzliche privat zu zahlende Leistungen angeboten, sogenannte individuelle Gesundheitsleistungen (IGeL). Dies muss jedoch vor der Behandlung schriftlich mit dem Patienten vereinbart werden. Zahnärztliche Behandlungen werden seit vielen Jahren nicht mehr vollständig von den gesetzlichen Krankenversicherungen übernommen. Der Zahnarzt hat den Kassenpatienten vorab einen Kostenvoranschlag vorzulegen, der von der Krankenkasse geprüft wird. Durch den Bescheid der Krankenkasse weiß der Patient, welche Kosten er selbst zu tragen hat. Wie bei Handwerkern auch, wird von der Rechtsprechung eine gewisse Überschreitung bis 20 Prozent des Kostenvoranschlags toleriert. Ähnliches gilt für den privatversicherten Patienten. Bei größeren Abweichungen muss der Arzt dies dem Patienten rechtzeitig vor der Behandlung beziehungsweise vor dem nächsten Behandlungsschritt mitteilen, sodass der Patient immer noch die Möglichkeit hat, von der Behandlung Abstand zu nehmen.

Welche Anlaufstelle gibt es für Patienten?

Wenn man bei einem Verdacht auf einen Behandlungsfehler nicht gleich einen Rechtsanwalt einschalten möchte, kann man sich als gesetzlich Versicherter zunächst an seine Krankenversicherung wenden. Diese ist verpflichtet, Patienten hier zu unterstützen. Die Krankenkasse wird ein fachärztliches Gutachten beim Medizinischen Dienst der Krankenkassen in Auftrag geben. Zudem besteht die Möglichkeit, sich in Bayern an die Gutachterstelle für Arzthaftungsfragen bei der Bayerischen Landesärztekammer zu wenden. Auch dort werden Arzthaftungsfälle gutachterlich überprüft. Auch dieses Verfahren ist kostenfrei. Dem Verfahren muss die Gegenseite jedoch zustimmen. Auch in Krankenhäusern können Patienten sich beschweren. Kliniken müssen seit fast zehn Jahren für ein patientenorientiertes Beschwerdemanagement sorgen.

PANORAMA
Interview zum Thema Palliativversorgung und Regeln für den assistierten Suizid
„Grundrecht auf selbstbestimmtes Sterben“

„Eine offene Kommunikation ist das Mindeste.“

Tanja Unger, Rechtsanwältin,
Fachanwältin für Medizinrecht,
www.putz-medizinrecht.de

Das Bundesverfassungsgericht hatte mit seinem wegweisenden Urteil vom 26.2.2020 den Auftrag an den Gesetzgeber formuliert, Regeln für den assistierten Suizid zu entwickeln. Inzwischen liegen Entwürfe von Bundestagsabgeordneten vor.

Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) hat am 15.2.2021 gesagt, dass es vorerst keinen eigenen Vorschlag vorlegen wolle. Hätte das BMG nicht längst aktiv werden müssen?

TANJA UNGER: Verfassungsrechtlich können Gesetzesvorschläge von den Ländern, von der Bundesregierung oder aus der Mitte des Bundestags kommen. Minister Spahn ist also berechtigt, aber nicht verpflichtet, einen Gesetzentwurf vorzulegen. Ob es politisch opportun ist, nach der Pleite mit dem Paragraf 217 StGB, den sein Vorgänger propagiert hatte, tatenlos zu bleiben, ist eine andere Frage. Auch ist festzuhalten, dass seit dem Urteil des Verfassungsgerichts kein rechtsfreier Raum im Bereich der Suizidbeihilfe entstanden ist. Beihilfe zum Suizid darf, wie schon bis zum Jahr 2015, nur geleistet werden, wenn der Suizidwillige seinen Entschluss freiverantwortlich, wohlerwogen und ernstlich getroffen hat. Andernfalls stellt die Beihilfe rechtlich eine mit hoher Freiheitsstrafe bedrohte Tötung in mittelbarer Täterschaft dar und kann entsprechend von den Staatsanwaltschaften verfolgt werden. Der nicht freiverantwortliche Suizident handelt dann quasi als „willenloses Werkzeug“ gegen sich selbst und muss vor sich selbst geschützt werden. Insofern hat auch das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber lediglich die Möglichkeit einer Neuregelung unter Achtung der Grundrechte der Betroffenen und des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit eingeräumt.

Die Begründung der Ablehnung vom BfARM ist immer die gleiche

In Medienberichten heißt es, dass Anträge von schwerstkranken suizidwilligen Betroffenen an das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfARM), mit der Bitte um die Genehmigung einer Dosis des Betäubungsmittels Natrium-Pentobarbital, immer abgelehnt werden – weil die Behörde vom BMG quasi aufgefordert wurde, derlei Anträge grundsätzlich abzulehnen. Ist dieses Vorgehen rechtens?

UNGER: Es gibt einen entsprechenden Brief aus dem Bundesgesundheitsministerium, nicht vom Minister persönlich, sondern von einem hohen Staatssekretär unterschrieben. Der Brief ist gerichtet an das BfARM und nach der offiziellen Anrede, handschriftlich mit „Lieber …..“ ergänzt. Es wird darin die Haltung des Ministeriums bekräftigt, dass der Staat niemals ein tödlich wirkendes Medikament zur Verfügung stellen sollte. Der Brief endet in einer Bitte, den Anträgen nicht nachzukommen. Eine Vorgabe oder offizielle Anweisung ist es pro forma also nicht. De facto ist es aber natürlich eine Aufforderung, ein Urteil eines obersten Bundesgerichts zu missachten, was ein grober Verfassungsverstoß ist.
Inzwischen laufen die Prüfverfahren pro forma. Offensichtlich hat das BfARM selbst erkannt, dass es nicht einfach die Anträge unberücksichtigt lassen kann. Soweit mir persönlich bekannt, werden die Antragsteller aufgefordert, Unterlagen vorzulegen. Die Begründung der Ablehnung ist dann immer die gleiche, dass die Unterlagen nicht für die
Feststellung eines freien Suizidwillens ausreichen würden.

Wie können Heime derzeit in der Palliativversorgung rechtssicher handeln?

UNGER: Im Hinblick auf die anderen Formen von Sterbehilfe hat sich durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts nichts geändert. So ist z. B. ein Behandlungsabbruch lebensverlängernder Maßnahmen gemäß Indikation und/oder Patientenwille selbstredend weiterhin zulässig und geboten. Nichts anderes gilt auch für die indirekte aktive Sterbehilfe, also eine zumindest in Kauf genommene Lebenszeitverkürzung im Rahmen und zum Zweck einer effektiven Leidenslinderung.

Was kann bzw. soll die Heimleitung tun, wenn ein schwerstkranker Bewohner selbstbestimmt entschieden hat, seinem Leben ein Ende zu setzen und das Heim um Hilfe dabei bittet? Wie ist hier die rechtliche Lage?

UNGER: Im Hinblick auf den Umgang mit Suizidwünschen von Heimbewohnern ist zunächst zu beachten, dass diese ihr Grundrecht auf selbstbestimmtes Sterben nicht an der Eingangspforte des Heims ablegen. Es darf, muss aber nicht, einem freiverantwortlichen Suizidwilligen Hilfe geleistet werden. Dies gilt sowohl für den passiven Suizid, wie dem freiwilligen Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit, als auch für aktive Formen, z. B. die Einnahme eines todbringenden Medikaments. Hier sind ärztlicherseits ergänzend die Vorgaben des Betäubungsmittelrechts, das aktuell noch den Einsatz von Natrium-Pentobarbital in Deutschland verbietet, zu beachten. Eine offene Kommunikation ist aus meiner Sicht das Mindeste. Einem einzelnen Bewohner, der von Dritten angebotenen Hilfe in Anspruch nehmen möchte oder sich hierüber informieren möchte, mit Repressalien zu drohen, kann im Lichte unserer Verfassung nicht der richtige Weg sein. Sollte es tatsächlich so weit kommen, dass Vertreter von Sterbehilfeorganisation auf eigene Initiative an Heimtüren klingeln, um bei Bewohnern Werbung zu machen, kann dies aber selbstverständlich im Rahmen des Hausrechts untersagt werden.

Interview: Susanne El-Nawab

Leben & Lieben

Nicht reanimieren! Bitte!

Diese drei Wörter hat sich Boguslawa Bornemann, 52, auf ihre Brust tätowieren lassen, denn sie möchte nicht wiederbelebt werden – unter keinen Umständen‘ Was macht sie so entschlossen und sollten wir uns alle mehr damit auseinandersetzen, wie wir sterben wollen?

Text: Yvonne Dewerne Fotos: Julia Sellmann

Wenn Boguslawa Bornemann ein Shirt mit Ausschnitt trägt, kann man einzelne Buchstaben ihres Tattoos erkennen. Sie zieren ihre rechte Brust, sitzen oberhalb des Herzens. Eine Stelle, die Menschen neugierig macht. Sie gucken, versuchen zu entziffern, was dort mit blauer Tinte verewigt wurde. Die 52-Jährige ist bei solchen Gelegenheiten gerne beim Lesen behilflich. „Ich sage dann ohne Umschweife, was da steht: ,Nicht reanimieren! Bitte! Die meisten reagieren erschrocken oder entsetzt. Viele schütteln den Kopf“, erzählt Boguslawa. Ihr Tattoo ist weder groß noch reich verziert. Doch die 21 Buchstaben wirken. Gestochen wurde das Tattoo vor fünf Jahren, nachdem Boguslawa einen Fernsehbericht über Senioren in den Niederlanden gesehen hatte, die ,,Nicht reanimieren“-Tattoos trugen. Es machte sie neugierig und sie beschloss, sich ebenfalls eines stechen zu lassen – die Message liegt ihr, im wahrsten Sinne, am Herzen. Die gebürtige Polin ist eine herzliche, humorvolle, selbstbewusste Frau. Zusammen mit ihrem Mann bewohnt sie ein altes Bauernhaus in einem 160-Seelen-Dorf in Hessen. Sie hat eisblaue Augen, die ganz klein werden, wenn sie lacht – und das ist oft. Neues zu entdecken und neugierig zu bleiben, ist Boguslawa, die seit 20 Jahren in Deutschland lebt, sehr wichtig. Mit 36 Jahren lernte sie noch das Schwimmen, sie ist gern in der Natur, geht oft wandern. Die Freiheit, die sie bei der Gestaltung ihres Lebens hat, wünscht sich die 52-Jährige auch für ihr Lebensende. Wie das aussehen soll – und wie auf keinen Fall -, weiß sie genau: ,,Ich möchte nicht zu Flause sterben. Meine Familie soll glücklich sein zu Hause, sie sollen nicht daran denken, dass ich nebenan im Bett gestorben bin. Und ich will nicht wiederbelebt werden, möchte nicht an Maschinen hängen oder nur daliegen müssen. Wenn ich nicht mit meiner Familie sprechen oder mit ihr lachen könnte, dann wäre das kein Leben mehr für mich.“ Die Entscheidung, nicht künstlich am Leben gehalten zu werden, hat Boguslawa schon vor langer Zeit gefällt. Damals fuhr das Paar noch viel Motorrad und wurde Zeuge eines schrecklichen Unfalls. ,,Uns selbst ist zum Glück nie etwas passiert, aber nachdem wir sahen, wie da ein Fahrer auf der Straße lag und versorgt werden musste, war meinem Mann und mir klar, dass wir vorsorgen müssen. Nicht nur mit einem Helm, sondern auch mit einer Patientenverfügung.“ Boguslawa war damals 40 Jahre alt Sie und ihr Mann unterschrieben eine Patientenverfügung und hinterlegten sie jeweils beim Notar und dem Hausarzt. Sieben Jahre später ließ sich Boguslawa ihren Wunsch zusätzlich auf die Brust tätowieren. „Ich habe die Hoffnung, dass der Arzt noch schneller prüft, ob es auch wirklich eine Patientenverfügung gibt. Ich möchte nicht, dass im Ernstfall Zeit verschwendet wird.“

Das regelt die Patientenverfügung

Es geht um ein mehrseitiges Dokument, das in Kraft tritt, wenn sich ein Mensch nicht mehr verständlich äußern oder einen Willen bilden kann.

Behandlungssituationen medizinische Maßnahmen zu verbieten. Das kann sich auf maschinelle Beatmung, künstliche Ernährung oder eben Wiederbelebungsmaßnahmen beziehen. Boguslawa hat in ihrer Patientenverfügung alle lebensverlängernden Maßnahmen untersagt selbst eine Chemotherapie bei einer möglichen Krebserkrankung lehnt sie für auch ab. Bei ihrer Arbeit fühlt sich Boguslawa Bornemann fast täglich in ihrer Entscheidung bestärkt. Die zweifache Mutter und Großmutter eines Enkels arbeitet in der Hauswirtschaft eines Altenheims. ,,Ich begegne dort vielen sehr gebrechlichen Menschen. Manche Patienten können nicht mal die Fliege, die auf ihrer Nase sitzt, vertreiben. Altern kann grausam sein, sagt die 52 -Jährige nachdenklich. Während der Arbeit hat sie ihre Tätowierung bedeckt. „Ich weiß, dass es unsere Bewohner nervös machen würde. Nicht jeder setzt sich so bewusst mit dem Tod auseinander wie ich.“ Auch bei Ärzten stößt sie mit dem Körperschmuck selten auf Verständnis. Nur ein Mediziner hat sich bisher die Zeit genommen, ihre Beweggründe zu erfahren. Gesprächen darüber geht sie nie aus dem Weg. Bei einem Erste-Hilfe-Kurs sprach Boguslawa den Kursleiter auf seine Meinung an. „Er hielt mich für eine durchgeknallte Oma, die das Tattoo als Spinnerei hat machen lassen“, erinnert sie sich, „wichtig sei ihm, was er schwarz auf weiß hat,“ Unrecht hat er damit nicht, wie Fachanwältin Tanja Unger aus München bestätigt. Sie ist spezialisiert auf Medizinrecht und setzt für Mandanten, wenn es sein muss, das Sterben durch. ,,Ein Notarzt wird das Tattoo nicht als Verbot einer Reanimation anerkennen. Ein Arzt hat immer ein Strafbarkeitsrisiko. Wird die Patientin nicht reanimiert, steht unterlassene Hilfeleistung im Raum, man könnte sich sogar im Bereich der fahrlässigen Tötung bewegen. Doch wird die Patientin reanimiert, überlebt und sagt dann, dass die Reanimation gegen ihren Willen passierte, wäre das eine Körperverletzung.“ Doch wer würde einen Arzt anzeigen, der einem das Leben rettet? Laien, die nicht beurteilen können, ob ein Tattoo auch eine Rechtsverbindlichkeit hat, müssen Erste Hilfe leisten und den Krankenwagen verständigen. Mit einem Tattoo oder Zettel im Portemonnaie, der eine Reanimation ablehnt, wird es kaum Rechtssicherheit geben. ,, Jeder Mensch hat einen Willen. Die Frage ist, wie komme ich an den ran?“, erklärt Rechtsanwältin Unger. Mit einer validen Patientenverfügung wird es leichter. Auch Boguslawa Bornemann ist sich bewusst, dass das Tattoo rechtlich keine Bindung hat. Sie empfindet es dennoch als Ausdruck ihres Willens, als eine Art doppelte Absicherung. Die Angst, doch künstlich am Leben gehalten zu werden, ist zu groß. „Meine Mutter starb an Krebs und hat sehr lange gelitten“ das war schwer mitanzusehen“, sagt sie. „möchte ich das auf keinen „Für mich möchte ich das auf keinen Fall.“ Das Tattoo soll ein Stoppschild für Ärzte sein, sich einen Moment Zeit zu nehmen, um schnellstens zu überprüfen, ob die Patientin Vorkehrungen getroffen hat. Jede medizinische Behandlung ist per se Körperverletzung und nur rechtmäßig, wenn sie gerechtfertigt ist. Die Rechtfertigung setzt zwei Punkte voraus: die Indikation, also einen medizinischen Grund, warum behandelt wird, und den Patientenwillen. Ein Patient kann dem Arzt jede Maßnahme verbieten, auch wenn sie dazu dient, das Leben zu verlängern. Dieses Verbot kann der Patient, etwa im Falle eines Komas, nicht immer äußern- genau dann greift die Patientenverfügung. Wann ein guter Zeitpunkt ist, eine Patientenverfügung anzulegen? ,,Heute“, sagt die Juristin bestimmt. „jeder von uns kann, unabhängig vom Alter, in einen Unfall verwickelt werden.“ Das Dokument verhindert, dass man in einem aussichtslosen Zustand am Leben gehalten wird. Es ist nicht für die Akutsituation gedacht“ wenn sowohl Diagnose als auch Prognose noch nicht vorliegen, Rechtsanwältin Unger macht es an einem Beispiel deutlich: ,,Wenn ein Mensch sagt, er möchte bei einem Schlaganfall keine Hilfe, dann macht das wenig Sinn, denn es gibt auch leichte Schlaganfälle, bei denen der Patient nach wenigen Wochen erholt ist. Doch sollte der Patient sich nach einem Schlaganfall nicht erholen und sich nicht mehr äußern können, weil er in einem Koma liegt, dann verhindert eine Patientenverfügung, dass dieser Zustand verlängert wird.“ Obwohl Boguslawa Bornemann sich bewusst ist, dass Chancen auf ein gesundes Leben nach der Reanimation durchaus vorhanden sind, möchte sie das Risiko nicht eingehen und hat für sich ein komplettes Reanimationsverbot bestimmt. Das mag für Außenstehende kurz gedacht sein, doch Boguslawa nimmt ein Ende ihres Lebens konsequent an. Auch wenn sie mit der Kirche nichts anfangen kann, ist sie eine gläubige Frau. Sie sagt dazu: ,,Das richtige Leben findet woanders statt. Hier auf Erden sind wir nur zu Besuch“
Boguslawa Bornemann möchte selbstbestimmt leben – und sterben. Ihre Tätowierung trägt sie mit Stolz.
JEDER MENSCH HAT EINEN WILLEN. NUR, WIE KOMME ICH AN DEN RAN?
Vor fünf Jahren hat sich die 52-Jährige das Tattoo stechen lassen Sie weiß, dass es eine Patientenverfügung nicht ersetzt, es soll lediglich als zusätzlicher Hinweis für Ärzte dienen.

PATIENTENVERFÜGUNG ODER VORSORGEVOLLMACHT – WAS IST DER UNTERSCHIED?

Eine Patientenverfügung kommt ausschließlich bei einem medizinischen Notfall zum Einsatz Die Vorsorgevollmacht kann auch für diesen Bereich wirksam sein, muss es aber nicht Sie berechtigen mit ihr eine Person Ihres Vertrauens, für Sie zu handeln und Entscheidungen zu treffen, z.B. auch finanzielle, in der Vorsorgevollmacht legen Sie fest in welchen Bereichen der Bevollmächtigte für sie agieren darf. wenn Sie dazu nicht mehr in der Lage sind. Eine Kombination von beiden Dokumenten ist durchaus sinnvoll.

„WENN ICH NICHT MIT MEINER FAMILIE SPRECHEN ODER LACHEN KÖNNTE, WÄRE DAS KEIN LEBEN FÜR MICH.“

„VOR DEM TOD HABE ICH KEINE ANGST“

(K)Eine Familiensache

Eine gute Patientenverfügung bedarf weniger Kriterien, eine Vorlage sollte aber von offizieller Stelle, wie dem bayerischen Justizministerium stammen. Zeugen braucht es beim Verfassen oder Unterschreiben zwar keine, doch Rechtsanwältin Unger rät dringend dazu, innerhalb der Familie das Gespräch zu suchen und den Angehörigen von der Patientenverfügung zu erzählen. Auch um Streitigkeiten zu vermeiden. Die meisten Auseinandersetzungen gibt es innerhalb der Familie aus emotionalen Gründen. „Vermittelt man rechtzeitig, was genau der eigene Wille ist, gibt das auch Familienangehörigen im Ernstfall Sicherheit“, weiß Rechtsanwältin Unger aus ihrer Praxis. ,,Gibt es nichts Schriftliche so bedeutet das ein Stochern im Nebel, das im schlimmsten Fall auch vor Gericht landen kann. Dann wird in einem Prozess, durch Zeugen und Sachverständige, ermittelt, was für ein Mensch der Patient war und was er gewollt haben könnte.“ Viele Rechtsstreitigkeiten könnten sich durch offene Kommunikation vermeiden lassen. Davon ist auch Dr. Lena Wolff überzeugt, zu deren Alltag Patientenverfügungen gehören. Sie arbeitet als Internistin in der Notaufnahme eines Hamburger Krankenhauses. Sobald ein Patient in die Notaufnahme eingeliefert wird, beginnt sie mit der Versorgung und Reanimation. Während sie sich um den Patienten kümmert, bemühen sich ihre Kollegen um weitere Informationen. Bei Patienten aus Pflegeheimen wird häufig eine Patientenverfügung mitgeschickt oder es gibt die Notiz, dass es keine gibt. Dass viele Menschen sich zu wenig mit dem Thema Tod auseinandersetzen, erlebt die Ärztin täglich und würde sich mehr Aufklärung wünschen. ,,Wenn etwas natürlich ist, dann dass wir sterben müssen. Und es passiert häufig, dass ältere Patienten eingeliefert werden, die mir nicht mehr adäquat antworten können. Doch wenn ich mit der Familie telefoniere und nach dem Willen frage, sagen die Angehörigen, dass sie sich darüber keine Gedanken gemacht haben.“ Im persönlichen Gespräch mit Familien stößt die Ärztin immer wieder auf verhaltene Reaktionen oder gar Fehlinformationen wenn nach lebenserhaltenden Maßnahmen frage, merke ich oft, dass nicht klar ist, dass ein hoher Prozentsatz von Patienten nie wieder von diesen Maßnahmen wegkommen wird. Viele sagen mir dann, dass sie das nicht für ihre Liebsten gewollt hatten“, sagt Dr. Wolff. Die Ärztin hat sich ihre eigene Patientenverfügung zum Geburtstag geschenkt. Einer Tätowierung, wie sie Boguslawa hat, ist sie bislang noch nicht begegnet. „Ich finde es schade, dass Menschen sich gezwungen sehen, ihren Wunsch auf die Brust stechen zu lassen, weil sie, Sorge haben, dass sie sonst nicht gehört werden.“

Boguslawa Bornemann hat ihre Familie in ihre Wünsche eingeweiht. “Das war eher eine Ansage, weniger eine Diskussion“, erinnert sich die 52-Jährige. ,,Mein Sohn und meine Tochter wissen, dass ich eine resolute Frau bin und meine Entscheidung feststeht.“ Beide haben die Verfügung gelesen, bevor Boguslawa sie bei ihrem Flausarzt hinterlegt hat -.sie kennen auch das Tattoo. Für ihre Familie gibt es damit keine Unsicherheiten, sollte der Fall der Fälle eintreten. „Vor dem Tod habe ich keine Angst“, sagt Boguslawa. ,,Ich empfinde meine Patientenverfügung und mein Tattoo als große Erleichterung. Ich weiß, dass ich alles dafür getan habe, damit meine Wünsche respektiert werden. Und sie einmal so selbstbestimmt sterben kann, wie sie auch gelebt hat.

WEITERFÜHRENDE INFORMATIONEN

Auf der Website des bayerischen Justizministeriums findet man die Broschüre „Vorsorge für Unfall Krankheit und Alter“ mit allen Informationen zum Thema. Ein Gremium aus Juristen, Medizinern, und Pflegepersonal hat sie erstellt und bringt sie regelmäßig auf den neuesten Stand.

justiz.bayern.de

Das Formular der Patientenverfügung kann gratis u.a. von der Website der Kanzlei Putz Sessel Steldinger, für die Rechtsanwältin Unger tätig ist, heruntergeladen werden.
putz-medizinrecht.de

HINTERGRUND DER GESCHICHTE

Autorin Yvonne Dewerne stieß auf Facebook zufällig auf ein Foto von Boguslawas Tätowierung, das ihr Tattoo-Studio gepostet hatte. Noch auf dem Bahnsteig schrieb sie eine Mail mit der Bitte, die Dame kennenlernen zu dürfen. Nach vielen Gesprächen mit der 52-Jährigen hält die Autorin beschlossen, sich schnellstmöglich ihre eigene Patientenverfügung zu kümmern.

https://www.test.de/shop/steuern-recht/finanztest-spezial-patientenverfuegung-fs0089/

Expertengespräch
Rechtsanwältin Tanja Unger über das Recht auf selbstbestimmtes Sterben.

Frau Unger, Sie haben Ärzte vor dem Bundesverfassungsgericht vertreten. Worum ging es ihnen?

Geklagt hatten engagierte Palliativmediziner, die ihre Patienten bis zum Schluss bestmöglich betreuen wollen. Sie wollten sich nicht mittels einer Strafnorm – dem Paragrafen 217 Strafgesetzbuch – verbieten lassen, bei einem schwerstkranken Patienten als letzte Option auch professionelle Hilfe bei dessen Selbsttötung zu leisten. Außerdem hatte die Strafnorm das vertrauensvolle Arzt-Patienten-Verhältnis belastet. Offene Gespräche über Suizidgedanken ihrer Patienten sollten wieder gefahrlos möglich sein. Nur wenn der Patient sich dem Arzt anvertraut, kann dieser ihm Alternativen aufzeigen und ihn so im besten Fall von seinem Suizidentschluss abbringen.

Unter welchen Voraussetzungen ist Beihilfe zum Suizid straffrei?

Eine Beihilfe zum Suizid ist nur straffrei, wenn der Betroffene den Entschluss frei verantwortlich, wohlerwogen und ernstlich gefasst hat. Nur dann handelt es sich um den vom Grundgesetz geschützten Ausdruck seines Selbstbestimmungsrechts. „Wohlerwogen“ bedeutet, dass der Suizidwillige vorab über soziale und medizinische Alternativen wie Onkologie, Psychotherapie oder Palliativmedizin informiert wurde. Der Suizidwillige muss frei von krankhafter psychischer Störung und ohne Druck von Dritten den Entschluss gefasst haben. Bei Nichtvorliegen der Kriterien droht dem Helfer eine Bestrafung wegen fahrlässiger oder vorsätzlicher Tötung bis zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe.

Kritiker argumentieren, eine geregelte Suizidhilfe könne alte und kranke Menschen unter Druck setzen. Wie sehen Sie das?

Die Gefahr sehe ich nicht bei ärztlicher Suizidassistenz. Ein Arzt ist sich stets seiner hohen Verantwortung für das Leben seines Patienten bewusst und wird streng nach seinem Gewissen prüfen, ob er dem schwer erkrankten Patienten seinen Wunsch nach Suizidhilfe erfüllen kann. Die Entscheidung für ein selbstbestimmtes Sterben unter Zuhilfenahme Dritter sollte kein gesellschaftliches Tabu sein. Dieses Recht darf durch ein strafrechtliches Verbot nicht unmöglich gemacht werden, „nur“ um nicht den Anschein einer Normalität aufkommen zu lassen. Offene Gespräche über die Ängste und Sorgen der Betroffenen und gegebenenfalls die Zusage, ihnen im Ernstfall bei der Umsetzung der Entscheidung zur Seite zu stehen – wenn sie für sich wirklich keinen anderen Weg mehr sehen –, ist der beste Weg, Druck zu verhindern und übereilte Entscheidungen zu vermeiden.

Was bedeutet das Urteil für Ärzte und Pflegepersonal in Heimen?

Zunächst bedeutet es Rechtssicherheit für Ärzte und Pflegeeinrichtungen mit ihrem Personal. Eine Unterstützung eines frei verantwortlichen Suizids ist straffrei. Dabei ist es irrelevant, ob der Suizid aktiv, etwa durch die Einnahme eines bereitgestellten Medikaments, oder passiv, durch den – gerade in Heimen und Hospizen immer wieder vorkommenden – freiwilligen Verzicht auf Essen und Trinken geschehen soll. Es ist jedoch wichtig, dass nach wie vor niemand, auch kein Arzt oder Pfleger verpflichtet ist, Suizidhilfe zu leisten. Es gibt also keinen Rechtsanspruch auf Suizidhilfe, weder gegenüber dem Staat noch gegenüber Dritten.

Tanja Unger, Fachanwältin für Medizinrecht aus München, hat mehrere Ärzte vor dem Bundes-verfassungsgericht vertreten.
„Das Urteil bedeutet mehr Rechtssicherheit für Ärzte und Pflegepersonal“

https://www.test.de/shop/steuern-recht/finanztest-spezial-patientenverfuegung-fs0089/

 

Expertengespräch
Rechtsanwalt Wolfgang Putz erklärt die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs.

Herr Putz, Sie haben drei Grundsatzurteile beim Bundesgerichtshof (BGH) zur Patientenverfügung erstritten (siehe Seite 16). In allen drei Fällen lagen die früher – und
auch heute noch – weit verbreiteten Textvorlagen der evangelischen Kirche zugrunde. Warum kam es zum Streit?

In allen drei Fällen stritten Familienangehörige um die Frage, ob die Fallkonstellationen von der Formulierung der Patientenverfügung erfasst wurden. Es wurde in allen Fällen ergänzend eine Beweisaufnahme durchgeführt, um den Willen der Betroffenen zu ermitteln.

War die Formulierung nicht klar?

Tatsächlich genügten die ursprünglich gut gemeinten Texte der evangelischen Kirche für Patientenverfügungen in wesentlichen Punkten nicht den rechtlichen Anforderungen. Es musste ermittelt werden, was der wirkliche Wille der Betroffenen war, als sie unterzeichnet wurden. Darüber gab es verschiedene Darstellungen. Die Richter mussten würdigen, ob sich
ein eindeutiger Wille ermitteln ließ.

Warum halfen die Patientenverfügungen nicht weiter?

Zum Beispiel war lediglich formuliert, dass „lebensverlängernde Maßnahmen“ unterbleiben, „wenn medizinisch eindeutig festgestellt ist, dass zum Beispiel keine Aussicht auf Wiedererlangung des Bewusstseins besteht oder ein schwerer Dauerschaden des Gehirns zurückbleibt“. Das ist eine Aneinanderreihung von untauglichen Formulierungen. Den Begriff „Lebensverlängernde Maßnahmen“ ließ der BGH nicht ausreichen, sofern tatsächlich nur diese Formulierung in der Patientenverfügung steht. Wenn aber ergänzende Darlegungen folgen, kann diese Formulierung ausreichend sein.

Was war zum Beispiel noch falsch?

Die Richter haben dargelegt, dass die Maximalformulierung hinsichtlich der Wiedererlangung des Bewusstseins, das „medizinisch eindeutig festgestellt ist …“, eine extreme Anforderung darstellt, die fast nie vom medizinischen Sachverständigen bejaht werden dürfte. Und es ist medizinisch nicht definiert, was „ein schwerer Dauerschaden des Gehirns“ ist. Es gibt auch heute noch in vielen Patientenverfügungen ähnliche, rechtlich untaugliche Formulierungen.

Wie gehen Laien ohne medizinische Kenntnisse vor, wenn sie eine Patientenverfügung erstellen?

Ich empfehle dringend: keine eigenen Formulierungsversuche. Es gibt inzwischen sehr gute Musterformulare, die den neuesten Anforderungen des BGH entsprechen. Im Fall einer
schweren Erkrankung sollten Patienten gemeinsam mit dem Arzt eine konkrete gesundheitliche Vorausplanung angehen und Behandlungswünsche in einer speziellen Patientenverfügung festlegen.

Was ist noch wichtig?

Es muss eine Vertrauensperson in einer Vorsorgevollmacht bestimmt sein, die eine Patientenverfügung durchsetzt. Manche Menschen sind aber nicht in der Lage, die emotionale Last und Verantwortung für den endgültigen Tod eines nahe stehenden Menschen zu tragen. Deshalb sollte die Wahl des Bevollmächtigten gut überlegt sein.
Wolfgang Putz ist Rechtsanwalt in München, Lehrbeauftragter an der Ludwig-Maximilians-Universität und Autor des Buches „Patientenrechte am Lebensende“.

„Die Wahl des Bevollmächtigten sollte gut überlegt sein.“

Das „Sterbehilfeurteil“ des Bundesverfassungsgerichts – § 217 StGB: guter Zweck, falscher Weg

Das Recht auf ein selbst bestimmtes Sterben

Das Bundesverfassungsgericht hat das Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung für verfassungswidrig erklärt. Die Autorin des folgenden Fachartikels vertrat gemeinsam mit Rechtsanwalt Wolfgang Putz die Verfassungsbeschwerden dreier Ärzte und fasst die zentralen Aussagen des Gerichts mit Blick auf die Praxis zusammen.

Von Tanja Unger

Karlsruhe // In seinem historischen Urteil hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) das Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung für verfassungswidrig erklärt und die Strafnorm mit sofortiger Wirkung aufgehoben. Aber das Gericht hat noch viel mehr getan, um den Schutz der Würde und des Selbstbestimmungsrechts in richtige Bahnen zu lenken. Leider ist selten ein Urteil in der Öffentlichkeit derart missverstanden und zu Unrecht kritisiert worden.

1. Die Ausgangslage: Gegen das Sterbehilfeverbot des § 217 StGB klagten unter anderem Sterbehilfevereine, Schwerkranke, die ihr Leben mit Hilfe eines solchen Vereins beenden möchten, und Ärzte, die sich in der ambulanten oder stationären Patientenversorgung Strafbarkeitsrisiken ausgesetzt sahen. Mit ihren Verfassungsbeschwerden rügten sie die Verletzung ihrer jeweiligen Grundrechte und bekamen Recht.

2. Wesentliche Erwägungen des Urteils: Das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 mit Art. 1 Abs. 1 GG) umfasst ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben. Dieses Recht ist nicht nur ein Abwehrrecht, z.B. gegen lebenserhaltende Maßnahmen, sondern schließt auch die Freiheit ein, sich das Leben zu nehmen, hierfür bei Dritten Hilfe zu suchen und, soweit angeboten, in Anspruch zu nehmen.

//Eine Verpflichtung zur Suizidhilfe gibt es auch künftig nicht.
Nur unmöglich machen darf sie der Staat nicht.//

Rechtsanwältin Tanja Unger

„Die in Wahrnehmung dieses Rechts getroffene Entscheidung des Einzelnen, seinem Leben entsprechend seinem Verständnis von Lebensqualität und Sinnhaftigkeit der eigenen Existenz ein Ende zu setzen, ist im Ausgangspunkt als Akt autonomer Selbstbestimmung von Staat und Gesellschaft zu respektieren“. Die Entscheidung entzieht sich einer staatlichen Bewertung anhand allgemeiner Wertvorstellungen, religiöser Gebote, gesellschaftlicher Leitbilder für den Umgang mit Leben und Tod oder Überlegungen objektiver Vernünftigkeit. Das Recht auf selbstbestimmtes Sterben gilt uneingeschränkt für alle Lebenssituationen und ist nicht auf fremddefinierte Situationen wie schwere oder unheilbare Krankheitszustände oder bestimmte Lebens-und Krankheitsphasen beschränkt. Es gilt also nichts anderes als bei Patientenverfügungen, bei denen das Patientenverfügungsgesetz in § 1901a Abs. 3 BGB gewährleistet, dass jeder in Ausübung seines Selbstbestimmungsrechts Behandlungsverbote ohne Rücksicht auf Art oder Stadium einer Erkrankung festlegen kann. Das Bundesverwaltungsgericht hatte 2017 den Zugang zu suizidtauglichen Betäubungsmitteln dagegen von derartigen Kriterien abhängig gemacht. Dieses Urteil und das Betäubungsmittelrecht stehen dem -nächst auf dem Prüfstand des Verfassungsgerichts. Das Verbot des § 217 StGB stellt einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Grundrechte der Betroffenen dar. Deshalb ist es verfassungswidrig und musste für nichtig erklärt werden: Zwar, so das Gericht, verfolgte der Gesetzgeber mit § 217 StGB den legitimen Zweck, die Selbstbestimmung des Einzelnen über sein Leben und hierdurch das Leben als solches zu schützen. Die Einschätzung des Gesetzgebers, dass die bisherige Praxis geschäftsmäßiger Suizidhilfe nicht geeignet war, die Selbstbestimmung in jedem Fall zu wahren, sei vertretbar. Es erkennt auch zu, dass die meisten suizidwilligen Menschen Lebensschutz und nicht Unterstützung beim Suizid brauchen, weil ihr Wunsch nicht auf einer vom Grundgesetz geschützten freiverantwortlichen, wohlerwogenen und ernstlichen Entscheidung beruht. Auch unter Würdigung all dieser Umstände ist die von der Vorschrift ausgehende Einschränkung der Grundrechte jedoch zu weitgehend. Der Einsatz des Strafrechts zum Schutz der autonomen Entscheidung des Einzelnen über die Beendigung seines Lebens findet seine Grenze dort, wo die freie Entscheidung nicht mehr geschützt, sondern unmöglich gemacht wird. § 217 StGB richtete sich zwar nur gegen geschäftsmäßiges Handeln. Doch die verbleibenden Optionen bieten laut Urteil nur eine theoretische, nicht aber tatsächliche Aussicht auf Selbstbestimmung am Lebensende, das Grundrecht werde faktisch weitgehend entleert. Genau das verbietet aber die Verfassung. Der Zweck heiligt nicht alle Mittel, schon gar keine verfassungswidrigen! Schon in der mündlichen Verhandlung im April 2019 stellten die Richter daher an den Gesetzgeber gerichtet klar: „Sie haben Grundrechte nicht zu dulden, sondern zu gewähren!“ Der Gesetzgeber darf und soll Suizidprävention betreiben und krankheitsbedingten Selbsttötungswünschen durch Ausbau palliativmedizinischer Angebote entgegenwirken. Dem Einzelnen muss aber die Freiheit verbleiben, auf die Erhaltung des Lebens zielende Angebote auszuschlagen und seine freie Entscheidung, das eigene Leben mit Hilfe Dritter zu beenden, im Inland umzusetzen. Mit dem Recht auf Selbsttötung korrespondiert daher auch ein entsprechend weitreichender grundrechtlicher Schutz des Handelns von Suizidassistenten. Ohne geschäftsmäßige Angebote der Suizidhilfe, so das Gericht, sei der Einzelne maßgeblich auf die individuelle Bereitschaft von Ärzten angewiesen, an einer Selbsttötung assistierend mitzuwirken. Kein Arzt – dies wird mehrfach betont – ist hierzu verpflichtet! Aktuell steht in Teilen Deutschlands der Bereitschaft von Ärzten, freiverantwortlichen und wohlerwogenen Sterbewilligen, Suizidhilfe zu leisten, jedoch auch noch das Berufsrecht entgegen. Es gehe aber nicht an, so das BVerfG, dass Menschen, die von ihrem Grundrecht auf Suizid Gebrauch machen wollen, erst einmal Ärzte finden müssen, die mutig genug sind, sich unter Berufung auf ihre eigene, verfassungsrechtlich verbürgte Freiheit über dieses berufsrechtliche Verbot hinwegzusetzen. Klarer hätte das BVerfG den Handlungsauftrag an die betreffenden Landesärztekammern nicht formulieren können. Das Standesrecht hat die Vorgaben des Verfassungsrechts umzusetzen.

3. Resümee und Blick auf die Praxis:

Zum Schutz der Selbstbestimmung über das eigene Leben steht dem Gesetzgeber auch nach dem Urteil in Bezug auf organisierte Suizidhilfe ein breites Spektrum an Möglichkeiten offen. Eine Verpflichtung zur Suizidhilfe gibt es auch künftig nicht. Nur unmöglich machen darf sie der Staat nicht. Also: alles auf Anfang! Die Politik muss nun neue, verfassungskonforme Wege suchen, um zu verhindern, dass unseriöse, leicht fertige Suizidhilfeangebote das Leben von schwachen, hilfebedürftigen Menschen in elementaren Entscheidungskonflikten gefährden. Weiterhin ist jeder Suizidwunsch ernst zu nehmen. Es muss offen darüber gesprochen werden! Ist der Wunsch freiverantwortlich, wohlerwogen und nachhaltig und damit Ausdruck des grundrechtlichen Selbstbestimmungsrechts, darf – wie vor Einführung des § 217 StGB – Unterstützung bei der Umsetzung geleistet oder vermittelt werden. Ein freiwilliger Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit darf genauso begleitet werden wie ein Suizid durch aktives Handeln gegen das eigene Leben.

Die Autorin ist Rechtsanwältin und Fachanwältin für Medizinrecht in der Kanzlei für Medizinrecht Putz-Sessel-Steldinger in München: putz-medizinrecht.de

Warum man eine Patientenverfügung erstellen sollte und was es dabei zu beachten gilt

Vorsorgen ist wichtiger denn je

Welche Behandlung will ich, welche nicht: Gerade in Corona-Zeiten sollte
man sich ärztlichen Rat holen und seinen Willen dokumentieren

Von John Schneider

Die Berichte über schwer verlaufende Corona-Fälle führen uns vor Augen, wie wichtig es ist, rechtliche Vorsorge zu treffen. Wer künstlich beatmet wird, kann häufig über einen längeren Zeitraum keine Entscheidungen in rechtlichen Angelegenheiten treffen.“ Das sagt Bayerns Justizminister Georg Eisenreich (CSU).

AZ-INTERVIEW mit Tanja Unger

Die 34- Jährige ist Medizinrechtlerin und Co-Autorin der Vorsorgebroschüre.

Unter Federführung seines Hauses hat der C.H. Beck Verlag eine Vorsorgebroschüre (5,90 Euro) herausgebracht, die die wichtigsten Fragen rund um Vorsorgevollmachtund Patientenverfügung beantwortet. Eine wichtige Hilfestellung – gerade während einer Pandemie.

Der Minister macht in diesem Zusammenhang auf eine verbreitete Fehleinschätzung aufmerksam: „Was manchmal übersehen wird: Weder der Ehepartner noch die Kinder können Sie im Ernstfall automatisch vertreten. Fallen rechtliche Entscheidungen an, muss das Gericht einen Betreuer bestellen. Eine Vorsorgevollmacht kann dies verhindern und ist für Sie und
Ihre Angehörigen von unschätzbarem Wert.

Die AZ hat der Medizinrechtlerin und Co-Autorin der Broschüre, Tanja Unger (34) von der Kanzlei Putz-Sessel-Steldinger Fragen rund um Patientenverfügung und Pandemie gestellt.

AZ: Frau Unger, werden in Pandemiezeiten eine Patientenverfügung sowie eine Vorsorgevollmacht besonders wichtig?

TANJA UNGER: Eine Patientenverfügung ist Ausdruck des Selbstbestimmungsrechts des Einzelnen. Sie lebt von ihren Verboten. Man verbietet für gewisse Situationen, zum Beispiel für ein dauerhaftes Koma, lebensverlängernde Maßnahmen, um so nicht langfristig in diesem Zustand verbleiben zu müssen. Ganz wichtig ist aber, dass die Patientenverfügung erst und immer nur dann relevant wird, wenn der Patient sich aktuell nicht mehr selbst äußern kann. So kann in der Regel auch ein mit Corona infizierter Patient, der ins Krankenhaus gebracht wird, mit den Ärzten besprechen, welche Behandlungen er möchte und welche nicht. Sollte aber jemand, zum Beispiel infolge eines Schlaganfalls, nicht äußerungsfähig sein und infiziert sich zusätzlich mit Corona, ist es gut, wenn er im Voraus verfügt hat und zusätzlich eine Vertrauensperson für den Gesundheitsbereich bevollmächtigt hat, die seinen Willen transportieren kann. Auch für die Ärzte ist es in diesen oft hektischen Zeiten eine große Hilfe, wenn sie so einen Ansprechpartner und einen klar fixierten Willen des Patienten haben. So beugt man Fehlentscheidungen zulasten des Patienten vor.

Ist jetzt etwas besonders wichtig?

Mit einer Standardpatientenverfügung, wie der des bayerischen Justizministeriums, muss man sich keine Sorgen machen, dass man bei einer Coronainfektion nicht behandelt wird, wenn man sich zwischenzeitlich bei Zustandsverschlechterung nicht mehr selbst äußern kann, es aber noch gute Genesungschancen gibt. Solange die Coronainfektion keinen derart schlechten Verlauf genommen hat, dass der Patient bereits unumkehrbar komatös ist oder im Sterben liegt, ist diese nicht einschlägig und die Ärzte führen alle indizierten Maßnahmen durch, um den Betroffenen zu retten.

Was tun, wenn man im Fall der Fälle gar nicht mehr behandelt werden will?

Sollte man, zum Beispiel, weil das Ende eines langen zufriedenen Lebens herbeigesehnt wird, den Wunsch haben, auch unter Vergabe möglicher Genesungschancen im Falle einer
Corona-Erkrankung keine Beatmung zu bekommen, sollte man deshalb einen gezielten Zusatz zu seiner normalen Patientenverfügung verfassen. In diesem verbietet man ausdrücklich invasive Beatmung und verlangt die palliative Linderung etwaiger Symptome. Eine entsprechende Formulierungshilfe wurde von unserer Kanzlei entworfen und wird kostenlos an Anfragende herausgegeben.

Ist gerade jetzt ein guter Zeitpunkt, um Vorsorge zu treffen?

Da nicht auszuschließen ist, dass eine zweite stärkere Coronawelle auf uns zukommt, sollte sich jeder, insbesondere wer zur Risikogruppe gehört, zu dieser Thematik Gedanken
machen und gegebenenfalls eine entsprechende Regelung treffen. Hierdurch sichert man, dass sein Wille zur Geltung kommt.

AZ-VERLOSUNG: 50 Patientenverfügungen

Die AZ verlost 50 Broschüren mit Patientenverfügung im Wert von je 5,90 Euro. Rufen Sie bis Freitag 12 Uhr, unsere Hotline unter ☎ 01378 420 166 (50 Cent pro Anruf, Mobilfunkhöher) an oder schreiben Sie uns eine E-Mail an gewinnen@az-muenchen.de mit dem Stichwort „Patientenverfügung“. Die Gewinner werden telefonisch benachrichtigt. Ihre personenbezogenen Daten werden ausschließlich für die Abwicklung des Gewinnspiels verwendet und nicht an Dritte weitergegeben. Nach Ermittlung der Gewinner und deren Benachrichtigung werden die Daten gelöscht. Die AZ verlost die Broschüre.

Legen Sie fest, wie Sie behandelt werden wollen: Mit dem Erstellen einer möglichst konkreten Patientenverfügung zeigen Sie Ihren Willen an.

So viel vorweg: Es lohnt sich nach Ansicht der Experten auf jeden Fall, angesichts der Pandemie eine Patientenverfügung zu verfassen oder die bereits erstellte Verfügung zu
überprüfen. Bei Zweifeln holen Sie sich am besten medizinischen Rat.

Im Rahmen einer Patientenverfügung kann man sehr konkret festlegen, welche Behandlung erwünscht ist und welche nicht. Die künstliche Beatmung – wie sie bei schweren Covid-19-Verläufen oft angewandt worden ist – gehört zu den oft abgelehnten lebensverlängernden medizinischen Maßnahmen. Und doch kommt die Patientenverfügung hier erst einmal nicht zum Zuge. Denn die setzt voraus, dass der Patient seinen Willen nicht mehr selber äußern kann. Zudem ist die Erkrankung heilbar. Die Maßgaben in der Patientenverfügung sind aber für den Fall einer unheilbaren Krankheit gedacht. Im Falle der Corona-Erkrankung käme die Patientenverfügung also erst zur Anwendung, wenn die Ärzte im Verlauf keine Heilungschance mehr sehen oder der Sterbeprozess begonnen hat, der Patient sich aber nicht mehr äußern und in eine Behandlung nicht mehr einwilligen kann.

Der BGH hat festgelegt, dass sich aus der Patientenverfügung eine konkrete Behandlungsentscheidung des Patienten ableiten lassen muss. Dazu müssen bestimmte ärztliche Maßnahmen genannt Krankheiten oder Behandlungssituationen genau benannt werden. Es gilt der Grundsatz: Je konkreter die Krankheits-Situation in der Patientenverfügung beschrieben wird, desto einfacher kann sie umgesetzt werden. Das kann umgekehrt auch für den Fall gelten, dass man bei einer Covid-19-Erkrankung ausdrücklich die Behandlung mit Beatmungsgeräten wünscht. Auch das lässt sich in der Patientenverfügung festlegen. Die DGHS (Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben) macht Formulierungsvorschläge für eine aktuelle Ergänzung der Patientenverfügung für den Fall einer schweren Coronavirus-Erkrankung (Covid 19). Ein Beispiel: Wenn man eine künstliche Beatmung trotz Heilungschancen ablehnt, könnte man das laut DGHS so formulieren: „Ich verbiete grundsätzlich jegliche Art der künstlichen Beatmung (nichtinvasiv wie auch invasiv). Parallel verlange ich eine optimale palliative Behandlung, die mir ein sanftes Sterben mit friedlichem Einschlafen ohne Erstickungsgefühle ermöglichen soll.“ In jedem Fall das Datum und die Unterschrift nicht vergessen. Und auch im Falle der DGHS-Vorschläge gilt, dass man bei Zweifeln medizinischen Rat einholen sollte.

Ebenfalls wichtig: die Angehörigen oder eine andere Vertrauensperson mit einer Vorsorgevollmacht beziehungsweise Betreuungsverfügung auszustatten. Die können dann den Willen des Patienten artikulieren, wenn eine Patientenverfügung nicht vorliegt oder die konkrete Situation nicht umfasst.